doppelstab“ 23. Juli 1980

In der vorletzten „doppelstab“-Ausgabe stellten wir Figuren der Baselbieter Sagenwelt vor, die heute als Kunstwerke öffentliche Gebäude schmücken. Im folgenden Beitrag geht es nun um Gespenster, die bei ihrem Auftauchen an historische Personen und Ereignisse erinnern.

Der Ketzer David Joris und die hingerichtete Drahtzugmüllerin

Von Felix Feigenwinter


Beginnen wir mit der überaus geheimnisumwitterten Gestalt des David Joris, jenes Holländers, der im Jahr 1544 unter dem Namen Johann von Brugg oder Johann von Brügge den Rat zu Basel ersuchte, sich mit Familie und Freunden in Basel niederlassen zu dürfen. Die Ratsherren zeigten sich von der würdevollen Erscheinung des Fremden und seiner Gefährten beeindruckt und nahmen ihn und seinen Anhang ohne nähere Erkundigungen auf. Von Brügge alias David Joris hatte seine Heimat verlassen, nachdem man ihn nach Demonstrationen an einer Prozession auf dem Schafott zu Delft als Angehörigen der verbotenen Sekte der Wiedertäufer mit Ruten geschlagen und ihm die Zunge durchstochen hatte. 1538 war auch seine Mutter der Wiedertäuferei angeklagt, sogar zum Tode verurteilt und 1539 hingerichtet worden. David Joris war also ein Glaubensflüchtling, der die damals auch in Basel verbotene Sekte der Wiedertäufer leitete.

Als Schlossherr in Binningen

Seine Identität als verfolgter Wiedertäufer vermochte der als Glasmaler ausgebildete Zugezogene in Basel offenbar sehr geschickt zu verbergen. Während zwölf Jahren bewohnte er das Schloss Binningen; im Basler Staatsarchiv finden sich aus jener Zeit folgende überraschende Spuren: 1548 gab es Schwierigkeiten wegen der Wasserversorgung; Schlossbewohner Joris hatte einen Zweigkanal vom Birsig erstellen lassen, nun ergoss sich das Wasser in den Fischweiher des Schlosses und floss von dort aus in den Birsig zurück. Eine Dürre brachte aber die Müller in Schwierigkeiten, sie beschwerten sich. Joris bat den Rat, die Angelegenheit zu schlichten, und er fügte konziliant hinzu: „Es wird von uns ungebührlich geredet, dass wir die Stadt gefährdeten und ihren Bürgern schadeten, den Armen das Brot vom Munde abschneiden zu wollen. Wenn uns danach im Sinne gestanden hätte, so hätten wir nicht in vier Tagen so viele Tausend Gulden hier angelegt, verzehrt und ausgegeben und nicht so vielen Bürgern so viel zu verdienen gegeben. Wir missgönnen es ihnen nicht, sondern gönnen es ihnen als unseren lieben Mitbürgern von Herzen“. Keiner dieser Mitbürger schien damals schon zu ahnen, dass es sich beim Schlossbewohner um einen „Ketzer“ handelte, der nach seinem Tod anno 1556 in der Basler Leonhardskirche an der Seite seiner Gemahlin noch als Ehrenmann bestattet worden war, aber keine drei Jahre später, nachdem sein Diener die wiedertäuferische Tätigkeit des Herrn denunziert hatte, in einer heute mittelalterlich-barbarisch anmutenden Weise postum als „Erzketzer“ behandelt wurde: David Joris' Leichnam wurde ausgegraben und am 13. Mai 1559 vor dem Steinentor samt den „ketzerischen“ Schriften öffentlich verbrannt!

Damit nicht genug: Die Angehörigen des wegen seines Glaubens Diffamierten wurden in Sippenhaft genommen; am 11. Mai 1559 entliess man sie aus dem Gefängnis unter der Bedingung, dass sie keine „niederländischen Bücher“ mehr lesen, und ihre Kinder mussten die „gemeinen Schulen“ besuchen...

Eine Amme spielte Gespenst

Über 300 Jahre später, gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts, wurde das Schloss Binningen von der greisen Amme eines der späteren Schlossbesitzer bewohnt, einer Frau, die – so erzählen sich alte Binninger noch heute – in Vollmondnächten ein wallendes Leintuch über den Kopf geschlagen habe und dergestalt im Schlossgarten umhergeirrt sei. Die Erinnerung an diesen Schabernack vermischt sich mit dem Gerücht, der Geist von David Joris habe gespukt. Sehr hartnäckig halten sich ausserdem die Erzählungen, wonach David Joris' auch heute noch von Zeit zu Zeit durch die Räume des „Spiesshof“ am Basler Heuberg, eine andere feudale Wohnstätte dieser interessanten historischen Persönlichkeit mit bewegendem Lebenslauf, herumgeistere.

Für jene, die David Joris besichtigen wollen: Sein Porträt hängt im Basler Kunstmuseum. Das "Bildnis des Wiedertäufers David Joris" hat Jan van Scorel gemalt.

Im Garten des Ergolzhofs wurde die „Drahtzugmüllerin“ geköpft

Szenenwechsel: Wenn man hinter dem Zeughausplatz des basellandschaftlichen Residenzstädtchens Liestal das steilabfallende, offiziell als Neuweg, von den geborenen Liestalern aber als „Rumpel“ bezeichnete Strässchen hinuntergeht, so gelangt man ins sogenannte „Gestadeck“. Diese kleine Vorstadt ist erst im Verlauf des 15. und 16. Jahrhunderts in der Niederung am Ergolz-Ufer entstanden. Baulicher Mittelpunkt dieser ersten Liestaler Häusergruppe ausserhalb der Stadtmauern ist der sogenannte „Ergolzhof“, ein markantes spätgotisches, mehrstöckiges Gebäude, das nach 1600 erbaut worden ist und auf einem Merianschen Stich aus dem Jahr 1642 und später auf einer Zeichnung des Kunstmalers Otto Plattner aus dem Jahr 1913 künstlerisch festgehalten wurde. Am 14. Mai 1840 hat im Garten dieses Hauses der Scharfrichter Mengis von Rheinfelden die als „Drahtzugmüllerin“ bekannte Anna Maria Buser-Graf vor mehreren tausend, aus nah und fern herbeigeeilten Schaulustigen geköpft.  

Die auf diese drastische Weise in den Tod beförderte Frau wurde beschuldigt, in der Drahtzugmühle zu Niederschönthal kurz, nachdem ihre Tochter auf unerklärliche Weise gestorben war, ihren Ehemann vergiftet zu haben. Die Exekution der „Drahtzugmüllerin“ beeindruckte begreiflicherweise auch spätere Generationen - umso mehr, als es sich um eine der letzten Hinrichtungen im Baselbiet handelte. (Seit der Gründung des Kantons Basel-Landschaft anno 1832 bis zur kantonalen Abschaffung der Todesstrafe anno 1873 wurden noch sechs Todesurteile ausgesprochen, von denen aber nur deren drei vollzogen wurden; in drei Fällen wurden die Verurteilten begnadigt.) 

Und so kann auch nicht erstaunen, dass alte Liestaler zu berichten wissen, im Ergolzhof sei in Sommernächten die nicht zur Ruhe gekommene Seele der hier vor über hundert Jahren hingerichteten „Drahtzugmüllerin“ herumgespukt.

Geisterührli“ im Bett des Dienstmädchens

Dank einem überraschenden Zufall fand ich für diese Spukgeschichten einige Zeit später, nachdem sie mir zugetragen wurden, eine rationale, ernüchternde Erklärung. Weisshaarig und in blauer Weste sass mir das „Gespenst“ nun nämlich in seinem Heim an der Spitzackerstrasse in Liestal gemütlich gegenüber: Albert Hofmann, einer der Söhne des Landwirts Albert Hofmann, der den „Ergolzhof“ von 1902 bis 1928 verwaltete. Herr Hofmann berichtete mir: Am Abend, nach getaner Arbeit, habe die Familie jeweils beisammen gesessen und sich Gruselgeschichten erzählt, welche auch die Hinrichtung der „Drahtzugmüllerin“ umrankten, die sich ja im letzten Jahrhundert im Garten des Wohnhauses abgespielt hatte. Die Hofmann-Buben wurden dadurch zu Bubenstreichen besonderer Art inspiriert: Zur nächtlichen Stunde verbreiteten sie, mit Leintüchern und ausgehöhlten Körbisköpfen als Gespenster verkleidet, im und um den Ergolzhof Angst und Schrecken. Darüberhinaus hätten sie aber auch andere geisterhafte Scherze getrieben. So hätten sie einmal, kurz, nachdem eine Geschichte vom „Totenührli“ in Umlauf gesetzt worden sei, im Bett des Dienstmädchens eine Uhr versteckt. Das nächtliche Ticken habe das Mädchen in solchen Schrecken versetzt, dass es sich geweigert habe, weiterhin in diesem „Geisterbett“ zu übernachten. Schon anderntags habe sich dann im Quartier, gar im ganzen Städtchen die Nachricht verbreitet, im Ergolzhof spuke es. Und dieses Gerücht habe sich als sehr dauerhaft erwiesen.

 

Anmerkung zu David Joris:

Die posthume Denunziation von David Joris als "Ketzer" in Basel brachte den mit Joris befreundet gewesenen Humanisten, Frühaufklärer, Calvin-Kritiker und Kämpfer gegen Religionsterror Sebastian Castellio (1515-1563, in Basel wohnhaft gewesen von 1554 bis zu bis zu seinem Tod 1563) in lebensbedrohliche Schwierigkeiten. Mehr dazu siehe Felix Feigenwinters Leserbriefe "Rehabilitierung eines Religionsverfolgten" ("Basler Zeitung" vom 4.11.2015) und "Ein in der Humanistenstadt verkannter Humanist" ("Basler Zeitung" vom 8.11.2016) sowie den Text  "Ein Gewissen gegen die Gewalt" in der About-Spalte auf Felixfeigenwinters Blog:

http://felixfeigenwinter.wordpress.com