"doppelstab"  1966 

Masken, Masken, Masken

Von Felix Feigenwinter

Die durch das Fernsehen und die Schweizer Filmwochenschau auch auswärts bekanntgewordene unterirdische Basler Galerie "Katakombe", will sagen deren Besitzer Pierre Gürtler, erinnerte sich der nahenden Fasnacht und stellt bis zum 12. Mai zwei Ausstellungen unter den Titel "Mascarade".

Die Photographin Helen Sager hat ihr Können im romantischen Kellerloch an der Schnabelgasse bereits vor Jahresfrist bewiesen; wir haben die  27jährige eigensinnige Künstlerin schon früher im "doppelstab" Nr. 1 vom 6. Januar 1965 innerhalb der Serie "Frauen von heute" ausführlich vorgestellt.

Photographierte Fasnacht als farbloser Traum

Ihre neuen Arbeiten, die jetzt im oberen, kleineren Raum der gut beleuchteten Untergrundgalerie hängen, fallen durch abrupte schwarz-weisse Konturen auf. An der durch fröhliche Pfeifervorträge aufgelockerten Vernissage erklärte die gebürtige Aargauerin: "Ich pfiff letztes Jahr den Morgestraich solo. Dann tauschte ich das Piccolo mit dem Photoapparat und zog - noch ganz im Bann des Morgestraichs - knipsend durch die Stadt. Die Aufnahmen kopierte ich später auf hartes Material; dadurch fielen die Grautöne weg, und es entstand eine Stilisierung, durch welche die Masken noch extremer wirken." Tatsächlich kann man in der "Katakombe" eigentümlich verzerrten Cliquen, Schyssdräggziigli und Einzelmasken begegnen, die durch merkwürdig starre Strassen geistern. Helen Sager lässt uns die Basler Fasnacht wie einen farblosen Traum neu und fremdartig erleben.

"Balle chez Duvanel"

Anders die Atmosphäre im unteren, grossen Ausstellungsraum. Hier triumphiert die Farbe. Und nicht alle der 17 Ölgemälde von J.E. (Joseph Edward) Duvanel, genannt "Joe", zeigen die Maske im Zusammenhang mit der Basler Fasnacht. Der 25jährige  Künstler malt zum Beispiel bunte Carnevals-Szenen in wild-romantischen Landschaften, so dass beim Besucher Vorstellungen an maskierte Zigeuner lebendig werden. Phantastisch mutet das farblich leuchtende, grosse Bild "Narrentreiben" an, auf dem grässliche Karikaturen durch eine gewitterhafte Landschaft stürmen - eine der Masken mit einer totenkopfähnlichen grinsenden Fratze trägt ein Band mit der Aufschrift: "Nous n'aimons que Duvanel..." Makaber und dämonisch wirken auch die "drei Fasnachtsgestalten", die geheimnisvoll vermummt zum "Balle chez Duvanel" eilen. Ausgesprochen zart und poetisch wirkt dagegen das "Interieur mit Maske", das übrigens bei Irene Zurkinden auf lebhafte Begeisterung stiess. Die in diesem Gemälde bekundete Tendenz zur impressionistischen französischen Malerei bestätigt sich in dem mit "Maskenball" betitelten, sehr luftig und elegant gearbeiteten Bild, in dem aber dennoch wiederum etwas gespensterhaft Hintergründiges mitschwingt. Daneben sind typische "Basler Fasnachtshelgen" anzutreffen: verschiedene "Cliquen" oder der mit seiner Geliebten im schummerigen Atelier auf den Morgestraich wartende "Pierrot".

J.E. Duvanels Malerei scheint man nun auch in Basel die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken, nachdem der in Anbetracht seiner Jugend leistungsmässig überdurchschnittlich fortgeschrittene Künstler bisher (in den letzten drei Jahren) mit jeweils nur einem Bild in der Weihnachtsausstellung in der Kunsthalle vertreten war, auswärts aber z.B. mit Ausstellungen im Kunstmuseum Neuenburg und im Anlikerkeller Bern auffiel und im vergangenen Jahr den Preis der Eidgenössischen Stipendienkommission errang.

Es war bezeichnend, dass der "Urbasler" Megge Kämpf nach einem nachdenklichen Rundgang durch Duvanels Ausstellung in der "Katakombe" anerkennend meinte: "I ha gar nid gwüsst, dass mir z'Basel e so glungeni Sieche hänn..."

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doppelstab“ 15. September 1967

Joe Duvanel in der Katakombe

Von Felix Feigenwinter

Als ich das rosa Papier sah, dachte ich zuerst an die Einladung zur Eröffnung eines Coiffeursalons. Doch dann las ich darauf, dass Pierre Gürtler zur Saison-Auftakt-Vernissage seiner Keller-Galerie „Katakombe“ an die Schnabelghasse einlädt. Die bis zum 23. September dauernde Ausstellung zeigt uns 34 neue Bilder des Basler Malers Joseph Edward Duvanel.

Es sei daran erinnert, dass der heute (erst) 26jährige Duvanel schon vor Jahren in Gruppenausstellungen als temperamentvoller Schilderer dramatischer und meist düsterer Baselbieter- und Jura-Landschaften aufgefallen war. Während der Fasnacht 1966 hingen dann in der „Katakombe“ eine Auswahl seiner damals frisch entstandenen melancholisch-makaberen Maskenbilder. Seine geheimnisvoll vermummten Gestalten lauerten in schummerigen Gemächern, geisterten vereinzelt oder in Prozessionen durch enge Gassen oder tummelten sich in der freien Natur.

Heute zeichnet sich in seiner ungewöhnlich stimmungsträchtigen Malerei bereits wieder eine neue Tendenz ab. (Bei einem Künstler mit der Jugend Duvanels schon von „Schaffensperioden“ zu schreiben, ist vielleicht vermessen, aber die hektische Bilderproduktion – wohl eine Temperamentsfrage? - und die daraus entstehenden gedrängten Entwicklungsprozesse verlocken dazu.) Das Dunkle, Morbide ist nun einer lichten, surreal verfremdeten Daseinsfreude gewichen. In den jüngsten, erfrischend heiteren und „luftigen“ Bildern stellt er seine Objekte – junge Mädchen, einsame Violinisten, Liebespaare, Fabel- und andere Tiere - meist in die freie Natur, auf saftiggrüne Wiesen oder mitten in ein zartes Blumenbeet. Das Beengende und Unheimliche seiner früheren Visionen scheint überwunden. Farblich bringt Duvanel dieses offensichtlich neue Lebens- bzw. Malgefühl zum Ausdruck, indem er sich nicht nur hellerer, leuchtenderer Farben bedient, sondern mit diesen auch spielerischer, spontaner, manchmal sozusagen geradezu übermütig-tänzerisch umgeht. In Bildern wie z.B. „Portrait au renard“ oder „Rève d'un poete hungrois“schwingt zwar das Dunkle der „älteren“ Werke noch mit, doch in den leuchtend-bunten Gemälden „Clown d'hiver“, „Dans un jardin d'Espagne“ oder „La Licorne de Bois“ scheint diese Schwere durch eine berückende Beschwingtheit wie weggewischt.

J.E. („Joe“) Duvanel scheint heute kaum mehr Schwierigkeiten zu kennen, seine markanten Impulse malerisch umzusetzen. Das birgt auch Gefahren mit sich, denn Routine kann sich verderblich auswirken. Andererseits scheint dieser Maler von Phantasien und motivlichen Ideen nur so zu sprühen, so dass die Virtuosität, die er sich offenbar schon jetzt zugelegt hat und die auch zur Sorglosigkeit verleiten kann, einer weiteren Entwicklung seines den provinzlichen Rahmen sprengenden Werkes nicht hinderlich sein muss.

Zum Schluss noch eine Bemerkung: Auch bei „intimen“ Themata (die Überschrift der Ausstellung in der „Katakombe“ heisst: „Les fleurs et l'amour) wirkt Duvanels sowohl konservative als auch konzessionslos eigensinnige gegenständliche Malerei nie ordinär. Seine Gemälde sind poetische und erotische Beschwörungen mit Bildern aus einer romantischen, vor-modernen Welt.

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"doppelstab“ 1977

"Unbaslerischer“ Basler Maler

Von Felix Feigenwinter


Nach einer (rezessionsbedingten?) längeren Pause erfreut Joseph („Joe“) Duvanel die kunstbeflissene Öffentlichkeit wieder einmal mit einer grösseren Ausstellung. Das gediegene Kunsthaus zum Gellert in Basel (Grellingerstrasse 75, Tramlinien 12 und 14, Station Grellingerstrasse) präsentiert von ihm 34 meist grossformatige Gemälde jüngeren Datums.

Duvanel nimmt innerhalb der zeitgenössischen „mittleren“ Basler Malergeneration eine besondere Stellung ein. Obwohl er in den Fünfzigerjahren die übliche Ausbildung an der Basler Kunstgewerbeschule durchlaufen und sich anschliessend in Genf kunstakademisch weiterbildete, entwickelte sich sein Schaffen ganz anders als jenes seiner Kollegen. Einerseits schienen ihn die aktuellen und teils modischen Strömungen, die viele Maler seiner Generation beschäftigten, kaum zu erfassen. Das stempelte ihn zu einem merkwürdigen „Konservativen“ unter der Schar von Basler Malern, die sich mit den von aussen aufdrängenden Entwicklungen auseinandersetzten. Seine Aussenseiterrolle hat Duvanel nie gesucht, aber er hat sich dagegen auch nie aufgelehnt. Er akzeptiert sie aus seinem persönlichen Kulturverständnis heraus wie ein Geschenk, zu dem es Sorge zu tragen gilt.

Obwohl er stilistisch mit anderen aussenseiterischen Individualisten wie etwa Jörg Schulthess, Walter Wegmüller oder dem kürzlich überraschend verstorbenen Kurt Fahrner nichts oder nur wenig gemeinsam hatte, schloss er sich mit diesen Kollegen in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre zur „Farnsburggruppe“ zusammen, deren Bestrebungen er loyal unterstützte. Dies ist umso bemerkenswerter, als sich Duvanel gegenüber Gruppenbildungen gegenüber sonst skeptisch verhielt und sich als „Vollblutmaler“ von intellektualistisch-programmatischen, gar politischen Maler-Manifestationen abgestossen fühlt. Kommt dazu, dass seine äussere Situation als Künstler damals befriedigend schien: So war er zum Beispiel, im Gegensatz zu anderen „Farnsburg-Künstlern“, bereits (noch) in der alljährlichen Weihnachtsausstellung in der Kunsthalle vertreten; verschiedene Galeristen – damals vor allem der Kunsthändler Corey aus Zürich – rissen sich um seine Bilder, und auch direkte private Beziehungen zu interessierten Kunstfreunden und Sammlern waren vorhanden. Unter den „Farnsburg-Künstlern“ fand Duvanel zu Kurt Fahrner eine besondere Beziehung, die ihn, bei aller Unterschiedlichkeit der Herkunft und des persönlichen und Mal-Stils, nie gleichgültig gelassen hatte.

Dass Joe Duvanel und seine Malerei in der gegenwärtigen schweizerischen und speziell baslerischen Kulturlandschaft „exotisch“ wirkt, ist auch mit deren Herkunft erklärbar. Als Sohn eines französischsprechenden Westschweizers aus dem Kanton Neuenburg und einer Engländerin indischer Abstammung war der Maler von klein auf, obwohl im Unterbaselbiet (Pratteln) und in der Stadt Basel aufgewachsen, mit der französischen und englischen Kultur enger vertraut als mit der einheimischen. Sein Interesse galt schon früh der französischen und englischen Literatur und Musik, aus welcher Sphäre er auch heute noch Anregungen schöpft. Ein zweijähriger Aufenthalt mit Frau und Kind in Spanien Ende der Sechzigerjahre, mehrere Abstecher in Frankreich und intensiv erlebte Reisen durch Irland und Ungarn haben ihn ebenfalls beeinflusst. Eine innige Freundschaft zum ungarischen Maler Ference Janossy und ein dadurch entwickeltes leidenschaftliches Verhältnis zur ungarischen Kunst und Literatur haben ebenfalls ihre Spuren hinterlassen.

Die nun im Kunsthaus zum Gellert bis zum 15. Oktober ausgestellten Arbeiten zeigen, dass Duvanel seinen Stil weiter kultiviert und harmonisiert hat. Sein vergangenheitsversunkenes und gegenwartsskeptisches Kulturbewusstsein, seine wilde Fabulierlust, sein unschweizerisches und unbaslerisches sinnliches Schwelgen und leidenschaftliches Erleben intensiver Stimmungen, aber auch sein Hang zum Abgründigen und die irrationale Neigung zum Wirklichkeitsentrückten, sowohl zum Dämonischen als auch zum Poetischen – und bei all dem ein aristokratisches Stilverständnis verdichten sich in seinen Bildern zu einer beeindruckenden Synthese. Das optische Erlebnis verbindet sich mit Assoziationen, die Duvanel mit in bewegten Landschaften und Intérieurs auftauchenden Symbolfiguren weckt - schicksalsversponnene Frauen, Männer, Kinder und Tiere, die den Betrachter auch als geheimnisvolle individuelle Figuren zu fesseln vermögen. Die technokratische und funktionalistische Realität scheint zu Duvanels romantischer Vorstellungswelt in krassem Widerspruch, ja tödlicher Feindschaft zu stehen. Duvanel schöpft aus dem Erbe weitgehend verlebter und versickerter europäischer Kultur. Dabei wirkt seine inhaltlich gegenwartsentrückte, technisch und stilistisch konservative Malerei nicht konventionell, sondern schöpferisch und lebendig.