"doppelstab" 1978:

Oasen für Amphibien und Schmetterlinge

Von Felix Feigenwinter


Naturschutz bedeutet immer auch Tierschutz - und letztlich Menschenschutz. Diese Erkenntnis ist in den letzten Jahren vermehrt ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gedrungen. Einem Natur- und Tierfreund, der diese Bezeichnung wirklich verdient, kann es nicht gleichgültig sein, was mit unserer natürlichen Umwelt geschieht. Ohne sie wäre das Gedeihen von Pflanzen, Tieren und Menschen auf die Dauer schlicht nicht mehr möglich - eine Binsenwahrheit, welche die Spezies Homo sapiens erstaunlicherweise lange Zeit ignoriert hat. Deshalb macht es Sinn, dass auf der "doppelstab"-Seite "Das Tier und wir" ausser Reportagen aus dem Zolli, lehrreichen Berichten über das Verhalten vierbeiniger oder gefiederter Lieblinge nebst amüsanten Tiergeschichten auch Beiträge erscheinen, die ökologische Aspekte beleuchten.

Heute veröffentlichen wir ein Exklusiv-Interview mit Rudolf Massini vom Basler Narturschutz zum Thema "Die Reservate des Basler Naturschutzes". Es geht darum, aufzuzeigen, in welchen grösseren Zusammenhängen die Tätigkeit des Basler Naturschutzes zu begreifen ist.

Rudolf Massinis Antworten belegen: Die Idealisten des hiesigen Naturschutzes tragen keine Scheuklappen. Ihre Arbeit im Dienste regionalen Pflanzen- und Tierschutzes verrichten sie als sinnvolle Freizeitbeschäftigung im Wissen um die Notwendigkeit weltweiter (Überlebens-)Bestrebungen zum Schutz der Natur auf dem Planeten Erde, für dessen Flora und Fauna sich menschliche Betätigung als zerstörerisch erweisen kann. Aktive Naturschützer, ob sie nun im grossen oder im kleinen wirken, tragen zumindest dazu bei, die Hoffnung aufrechtzuerhalten, dass der Überlebensinstinkt den Homo sapiens doch nicht ganz verlassen hat, was die Naturverwüstungen in den letzten Jahrzehnten manchmal befürchten lassen.

Die Reservate des Basler Naturschutzes sind nicht nur idyllische Oasen, welche Auge, Ohr, Geruchsinn und Seele von Naturfreunden erlaben. Sie sind auch Ausdruck menschlicher Kultur, eine heilsame Bewegung gegen die Naturverwüstung durch eine technokratische Zivilisation. Tummelplätze für Amphibien und Schmetterlinge, einst natürliche Selbstverständlichkeit, müssen von einem Grüppchen Idealisten erkämpft werden.
 

Interview mit Rudolf Massini vom Basler Naturschutz:

"Den Fadenmolch würde es nicht mehr geben..."

Felix Feigenwinter: Herr Massini, können Sie unseren Leserinnen und Lesern die fünf Naturreservate des Basler Naturschutzes kurz vorstellen?

Rudolf Massini: Gerne. Es handelt sich um das "Lätteloch", um das "Buchloch", um das "Schällbächli", um die Waldreservate bei Riehen und um die "Rüttihard".

F.F.: Wie kann man diese fünf Reservate charakterisieren?

R.M.: Das "Lätteloch" liegt in einer alten Tongrube, wo man auch bronzerote Ammonitlein finden kann, zwischen der Blauen Platte und dem Bergrestaurant Blaue Reben. In ihm hausen zahllose Molche, Kröten und andere Wassertiere in jeder Menge, und es dient darum im ersten Linie als Amphibienreservat.

Beim "Buchloch" handelt es sich um ein vom Jugend-Naturschutz betreutes und kürzlich sehr schön hergerichtetes Reservat. Es befindet sich bei Reinach auf dem Bruderholzrand, wenn man vom Gartencenter aus gerade gegen die Höhe geht. Ursprünglich war es vor allem für Amphibien geplant, aber es umfasst jetzt auch Wiesland und sogar ein wenig Wald, so dass man es als Mehrzweckreservat bezeichnen kann.

Das "Schällbächli", ein merkwürdiges Wässerlein, das durch die bewaldete Ebene westlich über dem Kaltbrunnental einherrinnt, hat zwar eine Quelle wie alle Fliessgewässer, aber keine Mündung. Es verschwindet ohne Umstände irgendwo im Waldboden. Ein Stücklein sehr urwüchsigen Waldes ist dort durch einen Vertrag mit der Gemeinde Brislach geschützt, damit die Romantik des Ortes nicht verloren geht.

Die zwei Parzellen Waldreservate bei Riehen, am Hang des Autälis, haben wir teilweise nur deswegen erworben, damit der Naturschutz bei der Waldzusammenlegung mitreden kann - dann allerdings auch mit der Idee, dort so etwas wie einen Naturwald entstehen zu lassen.

Und schliesslich noch die "Rüttihard": Sie ist unser jüngstes Reservat. Es gelangte durch einen Schenkung in unseren Besitz. Jeder, der von der alten Holzbrücke der Birs entlang aufwärts wandert, kommt daran vorbei. Von dem Land rechts des Hofes gehört uns das Stück, das am Waldrand liegt. Vom Wald oben ist auch etwas dabei. Auf dem Rüttihardreservat soll es ein Blumen- und Schmetterlingsparadies geben.

F.F.: Auf beiden Seiten des Restaurants Blaue Reben befinden sich Wiesenhänge. Meines Wissens gehören sie nicht dem Naturschutz, aber es ist ihm erlaubt, sie zu beaufsichtigen und zu pflegen, so dass sie als Naturgebiet erhalten bleiben?

R.M.: Ja. Die Blaue Reben-Hänge sind richtige, fast vollkommene Blumen- und Schmetterlingswiesen. Der Naturschutz sorgt durch regelmässiges Mähen und durch Niederhalten des aufkommenden Gebüschs für ihren Fortbestand.

F.F.: So viele Reservate zu pflegen und zu erhalten bedeutet sicher einen enormen Zeit- und Arbeitsaufwand?

R.M.: Das stimmt! Letztes Jahr ist zusammengerechnet nicht weniger als 483 Stunden in den Reservaten gearbeitet worden - selbstverständlich gratis!

F.F.: Das ist allerdings erstaunlich. Da drängt sich doch die Frage auf, ob sich dieser Riesenaufwand für ein paar verhältnismässig winzige Naturoasen lohnt - wenn gleichzeitig grossräumige Naturlandschaften mit allem natürlichem Leben darin vernichtet werden. Anders gefragt: Sollte sich der Naturschutz nicht doch eher für die Erhaltung der grossräumigen Landschaft einsetzen? Zum Beispiel: Was tut der Naturschutz gegen die Gewässer- und Luftverschmutzung, gegen die Energieverschleuderung und Rohstoffverschwendung? Und wie verhalten Sie sich im Kampf gegen die potentielle Gefahr einer radioaktiven Verseuchung?

R.M.: Wir sind uns durchaus bewusst, dass es fragwürdig ist, gartengrosse Stücklein freier Natur gegen den geringfügigsten Eingriff zu schützen, während deren ganze Umgebung der Natur entfremdet wird. Alles können wir leider nicht aufs Mal tun. Was die Sorge um das Gewässer und die Luft angeht und den Kampf für eine umweltgerecbte Energiegewinnung, so überlassen wir dies den dafür geschaffenen Organisationen, die ja zum Glück immer stärker werden. Für die Erhaltung der Landschaft setzen wir uns auch selber ein - soweit wir es vermögen.

F.F.: Wie geschieht das?

R.M.: Wir unterstützen alle Bestrebungen und Initiativen in Kommissionen, in Organisationen und auf politischem Boden. In letzter Zeit und gegenwärtig zum Beispiel waren und sind wir an drei Orten aktiv: In der Brüglinger Ebene, bei Klosterfiechten und im Birstal.

F.F.: Sie setzen sich dort für Naturschutzgebiete ein?

R.M.: Naturschutzgebiete braucht es in jedem Fall. Denn erstens ist die Landschaft gegenwärtig nicht gesichert; zweitens wären Naturreservate auch in einer gesicherten Landschaft unentbehrlich. Die Landschaft wird genutzt, auch wo sie nicht verbaut ist, im Wald etwas weniger intensiv als auf dem Feld. Boden nutzen heisst im wesentlichen, alles ausschalten, was nicht Nutzen bringt. Von den zahllosen Pflanzen, die auf unserem Boden wachsen können, bringt nur eine winzige Zahl eigentlichen Nutzen. Die meisten wildlebenden Pflanzen sind deshalb auf wenige und kleine, zufällige Brachplätze zurückgedrängt. Von den Tieren gilt dasselbe. Der grössere Teil der Lebewesen ist also auch in der geschützten Landschaft vom Aussterben bedroht. Uns geht es um die ganze grosse Natur, die sich in wirklich unzählbaren, unfassbar vielfältigen und unendlich wandelbaren lebenden Formen darstellt. Wir glauben, dass diese Natur für den Menschen einen Schatz von unbegrenztem ideellem Wert bedeutet. Wir, die darum wissen, können nicht zusehen, wie die Natur eine nach der andern von diesen Lebensformen verliert.

F.F.: Können Sie konkrete Beispiele nennen?

R.M.: Den Fadenmolch würde es bei uns praktisch nicht mehr geben, wenn ihm nicht Naturschützer durch Schaffung von Naturreservaten gesicherte Lebensräume geboten hätten. Die sehr seltene Bienen-Ragwurz hat dank dem Einsatz des Naturschutzes wieder neue - und wir glauben und hoffen - dauernde Standorte gewonnen.

F.F.: Es müsste begriffen werden, dass nicht nur in Afrika die Erhaltung der Elefanten und Nashörner wichtig ist, sondern dass auch wir in der Region Basel eine Verpflichtung für unsere eigene Fauna und Flora haben...

R.M.: Dafür setzen wir uns ein. Man kann unsere Reservate jederzeit frei besuchen. Sie sind ja für den Menschen da. Wir verlangen nur, dass kein Schaden angerichtet wird. Unsere Reservate sind voll von Wundern für jeden, der die Geduld aufbringt, sie zu entdecken.