"Baselbieter Anzeiger" / „doppelstab“ - Frühjahr 1968

Warum der Baselbieter Bildhauer Fritz Bürgin und sein „Güggel“ so lange warten müssen...

Der Dornröschenschlaf eines Kampfhahns

Von Felix Feigenwinter


Auf den kommenden Frühling freuen sich nicht nur die Basler Frauen, weil sie Einzug in den Grossen Rat halten dürfen. Nach der wärmeren Jahreszeit sehnt sich beispielsweise auch der Abwart des Kollegiengebäudes der Universität Basel. Denn ihm beseitigt der Lenz ein Ärgernis spezieller Art. Konkret ärgert sich René Küng seit langem über eine grosse Kiste, die in einer Ecke des Velo-Abstellraumes im Keller des Kollegiengebäudes steht. Und wenn er könnte, würde sich gewiss auch der in der Kiste zum „Dornröschenschlaf“ verurteilte grosse Kampfhahn darüber aufregen, dass man ihm seinen eigentlichen, würdigen Bestimmungsort unter freiem Himmel seit Jahren vorenthält. Da der besagte Hahn allerdings kein lebendiger, sondern ein vom Bildhauer Fritz Bürgin geschaffener ist, lässt ihn das natürlich kalt. Hingegen zerbricht sich sein Schöpfer den Kopf darüber, wieso er diesen Hahn überhaupt erdacht und hergestellt hat, und warum die Stadt Basel dafür mehrere tausend Franken ausgab. „Meinen 'Güggel' hält man ja doch nur im Keller versteckt“, meint er betrübt, als ich den Künstler in seinem Atelier in Bubendorf besuche, wo er das kleine Ebenbild seiner in Basel in einer Kiste eingesperrten grossen Bronzeplastik traurig betrachtet – jenes Mini-Modell, das er bereits 1959, also vor neun Jahren, im Rahmen eines allgemeinen Wettbewerbs, den der Basler Kunstkredit damals ausgeschrieben hatte, geschaffen und zur Jurybeurteilung eingereicht hatte, mit Erfolg: Im Herbst jenes Jahres wurde sein Entwurf von der zuständigen Jury mit dem ersten Preis ausgezeichnet und zur Ausführung empfohlen. Im Frühjahr erhielt Bürgin dann offiziell den definitiven Auftrag, das entworfene Werk zu einer grossen Plastik für den Universitätsgarten umzugestalten. Vorerst stellte der Bildhauer ein Gipsmodell in der Originalgrösse her. Dieses wurde unter anderem von Regierungsrat Zschokke und der ehemaligen Jury an Ort und Stelle besichtigt und gutgeheissen. So verfertigte Bürgin nun das Original aus Bronce. Im Sommer 1964, also vor dreieinhalb Jahren, lieferte er dieses seinem staatlichen Auftraggeber ab. 

Dass nun aber der Hahn, statt auf das dafür vorgesehene Mäuerchen im Uni-Garten gestellt zu werden, in den Keller des Kollegiengebäudes hinter einen Bretterverschlag verbannt wurde, wo er seither eingesperrt und unsichtbar blieb, enttäuschte nicht nur Fritz Bürgin. Der Abwart, René Küng, berichtet: „Der vorgesehene Standort wurde plötzlich fraglich, weil man in den Garten die 'Mensa' bauen wollte. Aber ich ärgerte mich über die grosse Kiste im Keller und fragte deshalb jedes halbe Jahr einmal auf der Baudirektion an, wann endlich jene Ecke des Velo-Einstellraums geräumt werde...“

Der inzwischen pensionierte (ex-)Bauverwalter Hermann Hirsmüller, der in dieser Sache zuständig ist oder vielmehr war, bestätigt:

Das Projekt der 'Mensa' hat die Verzögerung herbeigeführt. Wir wollten den Hahn nicht montieren, um ihn bald darauf wegen des Mensa-Baus wieder entfernen zu müssen. Doch nun wurde ja das Mensa-Projekt im Garten des Kollegiengebäudes fallengelassen, und dem Aufstellen der Plastik steht nichts mehr im Wege. Ich habe den Adjunkt des Kantonsbaumeisters, Ernst Buser, gebeten, die Sache im kommenden Frühling in die Wege zu leiten!“

Ernst Buser bestätigt: „Ja, das stimmt! Sobald die Maiglöckchen knospen, stellen wir den Hahn auf das ihm zugewiesene Mäuerchen. - Allerdings: Der neue Ratschlag über den neuen Mensa-Standort wurde vom Grossen Rat noch nicht genehmigt. Aber nachdem der erste Ratschlag vom Sommer 1964, der die Mensa im Garten des Kollegiengebäudes vorsah, von der Legislative 1965 abgelehnt wurde, ist kaum mehr zu befürchten, dass man nun doch noch im Uni-Garten bauen will. Auf alle Fälle werden wir den Hahn dieses Frühjahr aus dem Dornröschenschlaf rütteln, koste es was es wolle!“ 

Für Fritz Bürgin dürfte diese erfreuliche Tat bedeuten, dass ihm sein staatlicher Auftraggeber die restlichen zweitausend Franken, die er ihm noch schuldet, endlich ausbezahlen wird. Denn es ist üblich, Bildhauern ihre Arbeit erst dann voll zu vergüten, wenn das Werk aufgestellt ist. Ob Fritz Bürgin allerdings Anspruch auf die Zinsen hat, die ihm durch die Verzögerung eigentlich zustehen würden, wissen wir nicht...