Die 1899 in Dresden geborene Gertrud Isolani war schon in der Weimarer Republik eine vielgelesene Journalistin und Schriftststellerin. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten flüchtete sie mit Mann und Kind 1933 von Berlin nach Paris, wo sie aber 1940 verhaftet wurde und ins Internierungslager kam. Kurz vor der Deportation nach Osteuropa 1940 gelang ihr das Abtauchen in den französischen Untergrund. Schliesslich schaffte sie 1942, nach zwei gescheiterten Versuchen, mit der traumatisierten Tochter die Flucht in die Schweiz. Nach dem schwierigen Leben in Flüchtlingslagern fand die Familie 1944 endlich eine bleibende neue Heimat in Binningen. Dort besuchte Felix Feigenwinter die immer noch sehr agile Autorin und Zeitzeugin im Frühjahr 1969 kurz vor ihrem siebzigsten Geburtstag, dem 7. Februar.


Gespräch mit Gertrud Isolani

Von Felix Feigenwinter


 „Ihretwegen habe ich da aufgeräumt“, sagt die freundliche und sehr lebhafte Dame, die mir in ihrem Heim am Kronenweg 8 in Binningen Kaffee einschenkt und Gebäck hinschiebt. „Sonst lebe ich inmitten von Manuskriptbergen...“
 

Nun, auch in der aufgeräumten Wohnung der am 7. Februar 1969 ihren siebzigsten Geburtstag feiernden Schriftstellerin Gertrud Isolani riecht es sozusagen buchstäblich nach Literatur: Auf Schäften und Schränken häufen sich Bücher, die vielfach persönliche Widmungen samt Autogrammen berühmter Autoren tragen. Fotos von verstorbenen Dichtern und Wissenschaftlern, denen Gertrud Isolani nahestand, legen ebenfalls Zeugnis ab von den weltweiten geistigen und persönlichen Beziehungen meiner Gastgeberin. Und eine griffbereite, unbedeckte Schreibmaschine lässt vermuten, dass die sich längst im AHV-Alter befindliche Autorin noch lange nicht daran denkt, in den Ruhestand zu treten.

Die Vermutung ist richtig: Gertrud Isolani verrät mir, dass sie an einem neuen Roman arbeitet. Thema: Organverpflanzung. „Es kann allerdings noch zwei Jahre dauern, bis ich ihn fertiggeschrieben habe“, meint sie unternehmungslustig. Und: „Ich bin undiszipliniert. Hätte ich nicht eine Sekretärin angestellt, die mich täglich zur Arbeit zwingt, weil ich sie bezahlen muss, wäre ich noch zweifellos viel müssiger.“
 

Zu dumm, um Rechnungen zu schreiben“

Diese Nonchalance bezieht sich allerdings weniger auf die schriftstellerische Arbeit, wie ich nun erfahre, sondern viel eher auf administrative Erledigungen – zum Beispiel auf das „Schreiben von Rechnungen“. „Ich bin zu dumm, um eine Rechnung zu schreiben“, gesteht meine Gesprächpartnerin jedenfalls humorvoll und selbstironisch; „es macht mir viel mehr Mühe, als etwa eine neue Novelle auszuhecken.“ Diese Geschäftuntüchtigkeit führe dazu, dass sich Gertrud Isolani von gewissen Verlegern wiederholt „übers Ohr hauen liess“ - eine Tatsache, welche die gutgläubige und in finanziellen Belangen offenbar sehr large Autorin übrigens erst allmählich einsah, nachdem sie von Drittpersonen darauf aufmerksam gemacht worden war. Obwohl vor allem ihre Romane „Stadt ohne Männer“ und „Der Donor“ aussergewöhnliche Erfolge erzielten und von namhaften Kritikern – zum Beispiel von Thomas Mann – gerühmt wurden, verrät Gertrud Isolani, dass sie allein vom Romanschreiben mitnichten leben konnte und kann. Als begabte Journalistin und beliebte Radiomitarbeiterin muss sie sich darüber jedoch keine düsteren Gedanken machen.


Es begann mit Morgenstern

Bereits mit 19 Jahren verfasste die in Dresden geborene und in Berlin aufgewachsene Journalisten- und Schriftstellertochter eine Biographie über Christian Morgenstern. Damit – oder eigentlich schon früher, auf der Schulbank – begann ihre Karriere als „enfant terrible“. Gertrud Isolani: „Als ich eine fünfzehnjährige Schülerin war, fragte mich der Deutschlehrer, welches meine Lieblingslektüre sei. Ich antwortete: 'Christian Morgensterns Galgenlieder'. In der damaligen Zeit war das eine ketzerische Antwort. Seither war die Hölle los – ich war zum 'enfant terrible' gestempelt. Und ich bin es bis heute geblieben.“ Tatsächlich: 1930, als die Psychoanalyse noch keineswegs populär war, erschien von ihr das Buch „Die Seelenklinik“, das heftige Diskussionen auslöste. Der bereits erwähnte Tatsachenroman „Stadt ohne Männer“ brachte ihr den Vorwurf ein, sie habe aus dem Frauen-Konzentrationslager Gurs (wohin Getrud Isolani mit ihrer Tochter verschleppt worden war), „ein Bordell gemacht“. Dazu die Schriftstellerin: „1945 war der Sex eben noch ein Tabu...“ Mindestens so grosses Aufsehen erregte dann wie gesagt auch „Der Donor“ - jener Roman, der in revolutionärer Weise Fragen um die künstliche Befruchtung in aller Offenheit und wissenschaftlich fundiert zur Sprache bringt und heute – obwohl eindeutig als Roman geschrieben – sogar in der wissenschaftlichen Fachliteratur verankert ist. Dieses wohl bisher – vom Thema her – umstrittenste und am meisten diskutierte Werk Isolanis wurde übrigens soeben, zum 70. Geburtstag der Autorin, vom J.G. Bläschke Verlag, Darmstadt, neu herausgebracht. Leider wurde es etwas nachlässig korrigiert. Aber die Kommafehler können den Inhalt dieser in flüssigem, populärem Romanstil verfassten Erzählung keineswegs beeinträchtigen.

Als literarisch besonders reife Werke bezeichneten kompetente Kritiker vor allem den Roman „Nacht aller Nächte“, der die Gestalt des Erzvaters Abraham in modernen Weise behandelt, und den Band „Der Jünger des Rabbi Jochanan“ (1968 im Straczewski-Verlag, München, erschienen). Aufgrund ihrer historischen Erzählung „Mätressen“ wurde die schreibgewandte Binnigerin mit dem Novellisten C.F. Meyer verglichen. Mehr „so am Rande“ entstanden ausserdem ein Kriminalroman und die Komödie „Die Hochzeit des Jahres findet nicht statt“.
 

Eine Asphaltliteratin“

Als „Asphaltliteratin“ und „jüdische Kulturbolschiwistin“ wurde Gertrud Isolani in den Dreissigerjahren von Antisemiten bezeichnet und verfolgt. Als populäre Rundfundsprecherin und Journalistin war sie besonders exponiert, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als bereits 1933 aus Berlin zu flüchten. In Paris arbeitete sie – zusammen mit den Brüdern Thomas und Heinrich Mann – für eine antifaschistische Zeitung. Ihre mutigen Beiträge hatten zur Folge, dass sie, als die Deutschen anfangs der Vierzigerjahre Frankreich zu erobern begannen, samt Mann und Tochter wiederum flüchten musste. Mehrmals wurde sie verhaftet – konnte aber dank glücklicher Zufälle, mit List und nicht zuletzt auch dank der Hilfe vieler guter Menschen 1942 in die Schweiz gelangen, wo sie in drei verschiedenen Flüchtlingslagern lebte, bis sie 1944 mit der Familie nach Binningen zog. Leider starb ihr Mann, der in Berlin seine Porzellanfabrik verlor, 1945 – einen Tag, nachdem er glückstrahlend vernommen hatte, dass der Krieg beendet sei. „Jetzt kann ich in Frieden kapitulieren“, seien seine Sterbensworte gewesen, erzählt mir Gertrud Isolani. In ihrem Leben haben – wie sie sagt - „zwei Männer eine ganz grosse Rolle gespielt: Mein Vater und mein Mann“. Auch die Tochter war als Opfer der Judenverfolgung psychisch und physisch schwer geschädigt; sie erholte sich seit dem Kriegsende nie mehr, obwohl sie von der Mutter, von Ärzten und Schwestern liebevoll umsorgt und gepflegt worden war. Kürzlich starb sie, erst 43jährig. Als einzige Verwandte lebt nun noch Gertruds 95jährige Mutter im Altersheim „La Charmille“ in Riehen. „Sie war früher eine wunderschöne Frau“, höre ich; „viel, viel schöner als ich.“


Mit dem Herzen Binninger Bürgerin

Früher war ich gar nicht so eine gute Jüdin“, erinnert sich Gertrud Isolani im weiteren Verlauf unseres Gesprächs; „ich war ganz einfach eine Deutsche. Erst durch die Erlebnisse unter Hitler wurde ich bewusste Jüdin. So bin ich nun auch mit Israel sehr verbunden. 1961 war ich zum erstenmal dort. Ich bewundere dieses kleine, tapfere Land.“

Heute ist Gertrud Isolani Binninger Bürgerin. Sie ist stolz darauf! „Ich bin es mit dem Herzen“, bekennt sie; „in den 25 Jahren, in denen ich nun schon hier lebe, habe ich sozusagen Wurzeln geschlagen. Ich bin nämlich im Grunde genommen ein sesshafter und konservativer Mensch – ich meine das nicht im politischen Sinn - , nur die Umstände zwangen mich jahrelang, von Ort zu Ort zu ziehen.“ Eine besonders rührende Geste findet sie, dass der Binninger Kunstverein zu ihrem 70. Geburtstag eine besondere Veranstaltung organisiert.

In diesem Moment schrillt das Telefon. Meine Gastgeberin entschuldigt sich für „die Störung“. - „Guten Tag, Herr Doktor Huder“, höre ich; „das ist aber lieb von Ihnen, dass Sie sich meiner erinnern. Am 29. März?... Das ist aber nett – ich bin ganz überrascht! Ja, das sollte schon gehen. Da muss ich meine ganzen Reisepläne rumschmeissen. - Also vielen herzlichen Dank! Auf Wiederhören Herr Doktor!“

Gertrud Isolani kehrt zum Tisch zurück. „Soeben hat Doktor Walter Huder, der Archivdirektor der Akademie der Künste, aus Berlin angerufen. Der Berliner Schriftstellerverein ladet mich für einen Leseabend am 29. März nach Berlin ein!“, meldet sie glückstrahlend.


Geburtstagswunsch: „Stadt ohne Männer“ als Film!

Abschliessend frage ich die prominente Siebzigerin nach ihrem Geburtstagswunsch. Ihre Antwort kommt spontan: „Dass das Drehbuch, das nach meinem Roman 'Stadt ohne Männer' entstand, endlich verfilmt wird – das ist mein Geburtstagswunsch. Der amerikanische Produzent Jack Ferrand, der mit den Dreharbeiten begonnen hatte, hat sich ja leider in Schulden gestürzt und ist nun sogar auch noch gestorben! Leider verstehe ich zu wenig vom Organisieren. Könnten Sie nicht Verbindung mit Helmut Förnbacher aufnehmen; vielleicht interessiert er sich für das Projekt?"

Ich verspreche der ungewöhnlich unternehmungslustigen alten Dame, mein Möglichstes zu tun.