Basler Volksblatt“ 21. Februar 1964:

Kuh Blum lässt sich die Klauen schneiden

Von Felix Feigenwinter

Bei den Kühen ist es wie bei den Menschen: es gibt temperamentvolle und zahme“, sagt Klauenschneider Ernst Hirschi. Die Kuh Blum, die von ihrem Meister Hermann Übersax soeben aus dem Stall geführt worden ist, gehört zu den temperamentvollen Wesen. Widerspenstig wendet sie sich von dem Mann ab, der es auf ihre Klauen abgesehen hat. „Bluem, syg rueig!“ beschwichtigt Übersax und krault sie an der Stirn. Das gefällt der Kuh; sie lässt sich an den Hörnern festbinden.

Nichts für zimperliche Laien

Klauenschneider Hirschi schneidet zuerst das hervorstehende Horn an der Klauenspitze mit einer grünen Eisenzange weg, der sogenannten Klauenschere. Es folgt das Abstemmen der Klauenspitze mit Hammer und Stemmeisen. Der Schnitt an der Spitze muss schräg nach innen geführt werden, was der Kuh ihre natürliche Fusstellung und ihre angeborene Eleganz zurückgibt. Hierauf muss Blum einen Vorderfuss auf einen Holzschemel legen; der Bauer hilft ihr dabei. Mit Hammer und Hauklinge macht sich der Klauenschneider am Sohlenhorn zu schaffen. Zentimeterdick fliegen die Hornspäne, so dass es dem zimperlichen Laien kalt den Rücken hinunterläuft. Der Klauenschneider versichert mir aber, dass dies der Kuh keine Schmerzen bereite.

Eigentlich sollte sich eine Stallkuh jedes halbe Jahr einer Pédicure unterziehen“, erklärt Hirschi. Den Stallkühen wachse das Horn schneller nach als Tieren, die im Sommer weiden. Bei Weidekühen werden die Klauen eben auf natürliche Weise abgenützt.

Saftiger Widerstand

Der Klauenschneider wartet mit dem Hochbinden eines Hinterbeines, bis sich das Tier beruhigt hat. Für ihn bedeutet das Warten eine willkommene Verschnaufpause. Jetzt werden die Hinterbeine hochgehoben, damit die Kuh ihr Körpergewicht auf die übrigen Beine verlagert, „dann kann sie keinen Widerstand leisten“. Kuh Blum belehrt uns aber eines Besseren: Ich kann mich gerade noch mit einem Seitensprung in Sicherheit bringen, und Klauenschneider Hirschi muss einen saftigen Kuhfladen wegschaufeln, bevor er wieder ans Werk gehen kann... Das Horn der Hinterklauen ist so weich, dass es mit einer scharfen Klinge, mit dem sogenannten Ausstossmesser, abgeschabt werden kann. Zur Pédicure einer Kuh gehört auch das Ausputzen der Hornspalten, das Kürzen der sogenannten Asterklauen und das Abtasten der Sohle nach eventuellen Geschwüren oder anderen Klauenkrankheiten und -verletzungen. Wenn der Klauenschneider ein Geschwür entdeckt, entfernt er es mit einem besonderen Schnitzmesser. Hierauf desinfiziert er die Wunde und verbindet sie mit Watte und Verbandstoff. Die Kuh Blum weist aber keine Geschwüre auf; stolz auf ihre zurechtgestutzten Klauen lässt sie sich nach überstandener Behandlung in den Stall führen.

Vernachlässigte Klauen – weniger Milch

Im Kanton Basel-Land gibt es drei diplomierte Klauenschneider, erfahre ich. Ernst Hirschi hat sein Diplom vor vier Jahren an der landwirtschaftlichen Schule erworben.

Seither hat er über 400 Kühe behandelt. Manche wohnen hoch oben am Berg. Deshalb sucht sie Hirschi mit dem Traktor auf. „Leider gibt es immer noch Bauern, die die den Klauen ihrer Tiere zu wenig Beachtung schenken. Sie lassen ihr Vieh nicht nur unnötig leiden, sondern fügen auch sich Schaden zu, denn Kühe mit vernachlässigten Klauen sind schlechte Milchproduzenten“, sagt Hirschi. Der Klauenschneider selbst hat auch einen Kuhstall; über mangelnde Klauenpflege haben sich seine Tiere wohl kaum zu beklagen.