"doppelstab" 17. September 1976

Volksentscheid ohne Emotionen?

Von Felix Feigenwinter


Ein prominenter Teilnehmer am "doppelstab"-Hearing über das Thema "Markthof" äusserte seine Erleichterung darüber, dass sich dieses von exponierten Gegnern und Befürwortern bestrittene Informations- und Streitgespräch nicht vor einem breiten Publikum, sondern vor "doppelstab"-Journalisten - und somit, wie er meinte, vor informierten "Profis" abwickeln sollte. Dies mache es nicht nur überflüssig, dass man "bei Adam und Eva" anfangen müsse, sondern es trage sicher auch zu einer emotionsfreien Auseinandersetzung bei. 

Diese Hoffnung ist gewiss in Erfüllung gegangen - denn der "doppelstab"-Redaktion ging es nicht darum, Gegner und Befürworter des "Markthof"-Projekts "aufeinanderzuhetzen", sondern sie wollte sich von beiden Seiten möglichst sachlich informieren lassen und sich ein Bild über die Stichhaltigkeit der Pro-und Contra-Argumente machen - wobei die direkte Konfrontation der sich in der Öffentlichkeit exponierenden Gegner und Befürworter viel zur Urteilsbildung beigetragen hat. Im DS Nr. 72 haben wir versucht, diese Konfrontation, die selbstverständlich nicht zur selbtgenügsamen Orientierung der "doppelstab"-Redaktoren, sondern vor allem zu Informationszwecken zugunsten der "doppelstab"-Leserinnen und -Leser veranstaltet worden ist, konzentriert und möglichst objektiv wiederzugeben. 

Denn keine "Profis" sind es, die am Wochenende vom 24. bis 26. September in Basel mehrheitlich darüber entscheiden, ob Coop Basel ACV "seinen" Markthof wie vorgesehen erstellen soll oder nicht - sondern "das Volk", die baselstädtischen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die den Weg zur Urne beschreiten. Spätestens dann werden sich jene, die sich persönlich erhaben über "Emotionen" wähnen, damit auseinandersetzen müssen... 

Gewiss, mit Emotionen (allein) lassen sich keine vernünftige Sachentscheide fällen - wobei ich mir aber als barbarischer Funktionalist vorkäme, würde ich wünschen, demokratische Volksentscheide sollten nur aufgrund rationaler Erwägungen kühl denkender "Muster-Staatsbürger" entstehen, und nicht auch durch gefühls- und instinktmässige Einflüsse. Was wäre das für ein Stimmvolk, das zwar "denken", aber nicht mehr empfinden könnte?! 

Dass aber die so verpönten und gefürchteten "Emotionen" in Form von Aggressionen (zum Beispiel gegen eine Abstimmungsvorlage) nicht selten auf angestaute Ohnmachts-Gefühle von Stimmbürgern zurückzufüren ist, ist offensichtlich. Es sollte den Planern, Politikern und all jenen, die von Berufes wegen zu den "Besserwissern" gehören, zu denken geben. Stimmbürger, die den Eindruck gewinnen, "überfahren" oder/und nicht ernst genommen zu werden, neigen aus psychologisch verständlichen Gründen dazu, ihrem Frustrationsgefühl mit einem "Nein" Ausdruck zu verleihen - wenn sie dazu endlich die Gelegenheit bekommen. Solche "Denkzettel" wiederum sind dazu angetan, die spezialisierten "Besserwisser" zu einer abwehrenden, arroganten Haltung zu führen. Ein solcher Demokratie-feindlicher Teufelskreis kann wohl nur durchbrochen werden durch das Bemühen jener, die an den Informationsquellen sitzen, diese Informationen so allgemeinverständlich und so umfassend wie möglich an die Öffentlichkeit zu tragen. Solch ein Vorgehen scheint - in einer Demokratie, wie wir sie verstehen - immer noch die beste Garantie dafür zu sein, blindwütige Emotionen zugunsten einer vernünftigeren, sachbezogenen öffentlichen Meinungsbildung zum Nutzen des Gemeinwohls abzubauen. 

Insofern kann den Vertretern von Coop Basel ACV wohl kaum ein Vorwurf gemacht werden. Die "Volkswut", die gewisse Propheten von der Rekordzahl der das Referendum gegen den Markthof unterschreibenden 27 000 Baslerinnen und Basler ableiten, müsste der Grosse Rat auf seine Kappe nehmen. 

Etwas anderes ist es, ob die von Coop Basel ACV gelieferten Argumente, verglichen mit jenen der "Markthof"-Gegnern, die Mehrheit der am 24. bis 26. September zur Urne gehenden Basler überzeugen. Über mangelnde Information kann sich das Stimmvolk dieses Mal jedenfalls kaum beklagen. Wird daher dieser Volksentscheid, wie er auch ausfallen wird, ganz ohne Emotionen zustandekommen? Daran mögen Gefühls-Ignoranten glauben; ich halte es für unwahrscheinlich - und auch gar nicht für wünschenswert!