"doppelstab" 20./21. April 1978:


 

Die langen Beine allein sind's nicht

Von Felix Feigenwinter


Um dem Geheimnis der erstaunlichen Erfolge der Basler Uni-Volleyballerinnen auf die Spur zu kommen, empfiehlt sich eine Rückblende: Es war vor rund zehn Jahren, an einem Abend zwischen acht und zehn Uhr. In der Turnhalle des Gymnasiums Münchenstein sah ich sie begeistert trainieren. Je zwei junge Damen warfen einander einen Ball zu. Im ganzen sausten sechs Bälle hin und her. Ab und zu ertönte die Stimme von Fred Haussener, hauptberuflich Turnlehrer am Humanistischen Gymnasium, von anfang an als männlicher Trainer der Volleyball-Damen "Uni Basel" gewissermassen Hahn im Korb. Haussener stellte mir den damaligen Captain vor - eine schöne und freundliche Turnlehrerin namens Elisabeth Kessler. Sie hatte bereits 41 internationale Matchs hinter sich und war somit schon damals Basels erfahrenste Volleyballerin. Dennoch konnte sie mir nicht mit Bestimmtheit sagen, wieviele Male ihre Mannschaft - oder richtiger: Frauschaft - schon Schweizermeister geworden war. Und auch ihre Kameradinnen wussten es nicht besser. Sogar der Trainer musste passen: Er verwies mich an das Büro der Akademischen Sportkommission im Kollegiengebäude der Universität Basel.

Es begann mit Glück

Heute wäre eine solche Unkenntnis der Basler Nationalliga A-Spielerinnen über ihre eigenen Erfolge undenkbar. Ihr soeben errungener 15. Schweizermeistertitel in ununterbrochener Folge beruht nicht mehr auf Zufall. Er wurde, wie auch die Titel in den letzten Jahren, bewusst angestrebt. Die Siege von Uni Basel werden längst nicht mehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit errungen. In der kleinen Sporthalle St. Jakob, wo die Heimspiele ausgetragen werden, findet sich eine beachtliche Anhängerschaft ein. Die Resultate werden unüberseh- und -hörbar in der Tagespresse, am Radio und im Fernsehen verkündet. Die Statistiken, die darüber geführt werden, interessieren heute auch die Volleyballerinnen selber, deren Bewusstsein und Selbstverständnis davon geprägt wird. Sicher gehören die Erfolge und das dadurch sich bildende Image heute mit zur Motivation, zum Ansporn zu weiteren guten Leistungen.

Dass in Basel vor sechzehn Jahren aber überhaupt ein Volleyballerinnen-Team namens "Uni Basel" den (damals noch keineswegs vorgezeichneten) Weg des kontinuierlichen Erfolgs eingeschlagen hatte, ist einem glücklichen Zufall zu verdanken. Der Turnlehrer Fred Haussener, damals noch ein unbeschriebenes Blatt in Volleyball-Kreisen, hatte eine Gruppe junger Kolleginnen um sich geschart, um mit ihnen das von ihm als Turnlehrer besonders geschätzte und geförderte Vollyball-Spiel zu trainieren, das bisher in der Schweiz - und vor allem in der Deutschen Schweiz - recht stiefmütterlich behandelt worden war. Haussener hatte nicht im Traum daran gedacht, damit das während anderthalb Jahrzehnten beste Schweizer Volleyball-Damenteam gegründet zu haben. Der erste Schweizer-Meister-Titel vor 15 Jahren - er wurde an einem Final-Tournier errungen, das damals noch nicht offiziell als "Schweizermeisterschaft" bezeichnet wurde - sei einem "reinen Zufall" zu verdanken gewesen, erzählen sich die "Uni Basel"-Mitglieder heute.

Silvia Lüthy-Rainoni, während mehreren Jahren als Kaderspielerin persönlich beteiligt an der langatmigen Schweizermeister-Ehre, berichtet: "Die damaligen Spielerinnen lachen heute noch, wenn sie davon erzählen. Uni Basel war als Aussenseiter in den Final gekommen, wo es auf die Spielerinnen aus Genf stiess. Der Sieg kam dann völlig überraschend dank einem Schiedsrichterentscheid. Das war reines Glück!"

Dass der glücklich errungene erste Titel in den folgenden Jahren - bis auf den heutigen Tag - seine ununterbrochene Wiederholung fand, ist freilich eindeutig ganz anders als mit der charmanten Behauptung vom Zufallsglück zu erklären, obwohl Understatement offenbar zum Stil und Ton der trotz ihrer überragenden Rolle keineswegs überheblich gewordenen Uni-Volleyballerinnen gehört.

Plausch und Selbstdisziplin

Zu den auffallendsten Merkmalen, die gute Volleyballspielerinnen auszeichnen, gehören neben einer ausgeprägten Sprungkraft, einem guten Ballgefühl, Sinn für spielerische Koordination und einer reaktionsschnellen Beweglichkeit fast immer auch lange Beine. Ein naiver Bertrachter könnte daraus schliessen, dass die besten Volleyballerinnen ganz schlicht die Mädchen mit den längsten Beinen seien. So einfach verhält es sich aber natürlich nicht.

Das Geheimnis der Erfolge der langbeinigen Basler Schweizermeisterinnen liegt noch ganz woanders. Eine wesentliche Spur dazu erschliesst das Gespräch mit Volleyballerinnen von Uni Basel über ihre persönliche Einstellung zum Training und zum Spitzensport überhaupt. Da zeigt es sich, dass nicht fanatischer Leistungsehrgeiz, Rekordsucht und schon gar nicht eitler Starkult die Triebfeldern zum Erfolg sind, sondern dass das Volleyballspiel für die Aktiven von "Uni Basel" in erster Linie die Bedeutung eines "Plauschs" hat.

Diese Haupt-Motivation zieht sich durch die ganzen 15 Jahre Schweizer-Meister-Geschichte der Uni Basel-Mädchen und -Frauen. Praktisch drei Spielerinnen-Generationen hat es zu Höchstleistungen beflügelt. Und kann dieser "Plausch" aufrechterhalten werden, diese spielerische Freude an der Leistungssteigerung, am kämpferischen Einsatz und an der Selbstdisziplin angesichts der an die Spielerinnen gestellten Leistungs-Anforderungen (drei Abende in der Woche intensives Training, dazu die Meisterschaftsspiele an den Wochenenden!)? Kommt solcher Einsatz nicht schon profimässigem Stress gleich - vor allem, wenn man den Amateur-Status der Spielerinnen berücksichtigt und ihre zusätzliche studentische oder berufliche Alltags-Belastung?

Die Antwort auf diese Frage dürfte die schlüssigste Erklärung für die Ketten-Erfolge der Basler Uni-Volleyballerinnen liefern: Wenn Silvia Lüthy-Rainoni bekennt, dass eigentlich jedes von ihr bestrittene Training ein "Plausch" war, weil sich Trainer Haussener jeden Abend "etwas anderes einfallen liess", was sich stets als unerhört stimulierend ausgewirkt habe, so spricht sie im Namen aller ihrer Kolleginnen - auch der jüngeren.

Dabei ist es bezeichnend, dass besondere Vorschriften für eine besondere Lebensführung der Spielerinnen nicht bestehen - wie man das beispielsweise bei den Spitzenfussballern kennt. Ob bzw. wann die Spielerinnen rauchen, Alkohol trinken, mit dem Freund oder der Freundin ausgehen oder schlafen, bleibt ihre reine Privatsache - aber es ist Ehrensache, dass jede so vernünftig und solidarisch ist, dass sie ihren Lebensrhythmus mit ihren sportlichen Einsätzen in Einklang bringt. Das Stichwort heisst Selbstdisziplin. Diese beruht aber auf absolute Freiwilligkeit - Schnüffeleien oder gar Sanktionen durch den Trainer gibt es nicht. Und dieser geht mit dem guten Beispiel voran: In seiner nun schon über 15jährigen Tätigkeit hat Fred Haussener noch an keinem Trainingsabend gefehlt. Und das macht den jungen und auch routinierteren Spielerinnen Eindruck. Silvia Lüthy-Rainoni meint: "Als Spielerin weiss man: Der Trainer ist immer da. Diese Präsenzzeit wird eingehalten. Es gibt keine Ausrede zum Fernbleiben. Und aufs Training freut man sich ja auch; ich habe es immer als Plausch empfunden - auch wenn es je länger desto mehr zum Hochleistungssport wird."

Genau gleich empfindet Helen Schai-Zigerling, fünfmal mit Uni Basel Schweizermeisterin, die auch heute noch, zwei Jahre nachdem sie sich vom Wettkampfsport zurückgezogen hat, wenigstens einmal in der Woche das Training zusammen mit ihren früheren und neuen Kolleginnen als Fitness-Hobby betreibt.

Stadtbesichtigung war wichtiger

Ausdruck dieser unverkrampften, natürlichen und kollegialen Mentalität ist andererseits die Geschichte, die ich über einen Aufenthalt der Basler Schweizermeisterinnen vor einigen Jahren in Prag anlässlich eines Einsatzes im Europa-Cup zu hören bekomme. Die Baslerinnen wussten, dass sie gegen die Tschechinnen, die als "übermächtige Gegner aus dem Osten" galten, nichts zu bestellen hatten. Statt sich in Prag die Stunden vor dem Einsatz wie spartanische Profis aufs Spiel zu konzentrieren, zogen sie eine Stadtbesichtigung vor, denn: "Auch wenn wir uns kompromisslos aufs damalige Spiel vorbereitet und statt die Stadt besichtigt zum Beispiel im Hotel geschlafen hätten, hätten wir das Spiel nicht gewinnen können. Da schien uns eine Stadtbesichtigung sinnvoller - denn wir sagten uns: So schnell kommen wir nicht wieder nach Prag!"
 

Damals gehörte übrigens auch schon die Tschechin Helena Bastova zu Uni Basel, die heute als Dreissigjährige die älteste aktive Spielerin im Team der Schweizermeisterinnen ist. Helena Bastova, früher Turnlehrerin und heute Sekretärin, musste damals aus politischen Gründen aufs Auswärtsspiel der Basler Mannschaft - pardon: Frauschaft - verzichten, trat dann aber dafür im Heimspiel in Basel gegen die Tschechinnen an, was in ihr begreiflicherweise etwas zwiespältige Gefühle weckte. 

Organisatorische Hilfen

Zu den bereits erwähnten Erfolgsgründen, die offensichtlich mit der Person und dem Geschick des Trainers Haussener zusammenhängen - und sicher auch mit seinem Glück, gleich zu Beginn einige besonders talentierte Spielerinnen um sich geschart zu haben - , gesellen sich organisatorische Vorteile. Diese ergaben sich dadurch, dass Uni Basel im Gegensatz zu den üblichen Volleyballteams nicht einem Verein angehört, sondern aus der Universität hervorgegangen ist und sich gewissermassen unter dem Patronat des Hochschulsport-Büros entwickeln konnte. Das führte zu einer Art (unbeabsichtigter) Privilegierung: Uni Basel profitierte von der administrativen Arbeit des Hochschulsport-Büros. Organisatorische Bemühungen, wie sie in Vereinen üblich sind, waren nicht nötig. Die Vermittlung von Trainingshallen, aber auch das Organisieren nötiger Reisen wurden zum Teil durch das Hochschulsport-Büro getätigt. Mindestens in den ersten Jahren ihres Bestehens dürfte den Volleyballerinnen dadurch viel erleichtert worden sein. Inzwischen ist in Basel eine Interessengemeinschaft gegründet worden, welche die Zusammenarbeit zwischen den diversen Volleyball-Mann- und Frauschaften fördert, die Hallenbenützung koordiniert und zum Beispiel auch die brüderliche bzw. schwesterliche Verteilung der Einkünfte aus den Publikumseintritten bei den Heimspielen in der kleinen Sporthalle St. Jakob an die beteiligten Teams bzw. Vereine vornimmt. Präsident dieser IG Volleyball ist Heini Sörensen aus Basel. 

Nachwuchs aus dem Gymnasium 

Dass bei Uni Basel für Nachwuchs gesorgt ist, gehört mittlerweile zur Tradition. Die nahtlose Ablösung bewährter Spielerinnen durch junge Teammitglieder erstaunt immer wieder von neuem - sie dürfte mit zu den Erfolgsrezepten gehören. Stiessen früher junge Frauen aus der Universität zum Uni Basel-Team - es waren fast ausschliesslich Studentinnen, vor allem angehende Turnlehrerinnen - , so sucht man seit einigen Jahren schon in den Gymnasien nach Talenten. Das fällt einigermassen leicht, denn die meisten Kaderspielerinnen sind Turnlehrerinnen, und so können diese in ihren eigenen Turnklassen Ausschau nach vielversprechendem Nachwuchs halten. Dass sich diese Methode bewährt, beweist nicht nur die dauerhafte Sieges-Serie des ersten Teams, sondern auch die aktuellen Erfolge der Junioren: Sowohl in der ersten Juniorinnen-Liga, als auch in der zweiten Liga (in der Gruppe B) stehen die Nachwuchs-Teams von Uni Basel an der Spitze. 

Das Bestreben der Uni Basel-Spielerinnen um die Sicherstellung genügenden Nachwuchses geht übrigens inzwischen gar so weit, dass Volleyballerinnen aus dem Schweizermeister-Team, die Mutterfreuden entgegensehen, sozusagen in den Erfolgszwang geraten können, ein Mädchen zur Welt zu bringen! Das jedenfalls ist aus der Erzählung von Helen Schai-Zigerling abzuleiten, die sich erinnert, dass sich ihre Teamkolleginnen einigermassen enttäuscht zeigten, nachdem die vor zwei Jahren einem Knaben (statt einer potentiellen Uni Basel-Nachwuchsspielerin...) das Leben geschenkt hatte. Aber Mutter Helen Schai liess sich nicht beirren: "Bei den Männern brauchen sie ja auch Nachwuchs", beschwichtigte sie ihre Sportskameradinnen. 

Auswirkungen in der Region  

Das gute Beispiel der Uni Basel-Spielerinnen macht Schule: Nicht nur die Männer von Uni Basel haben dieses Frühjahr den Aufstieg in die Nationalliga A geschafft, sondern bei den Damen hat sich in der Nationalliga B mit ASV Kleinbasel ebenfalls ein Basler Team profiliert, und ein Blick auf das Volleyball-Treiben auf regionaler Ebene erweckt ebenfalls den Eindruck eines populär gewordenen Volkssports: Nach der jüngsten Statistik ist die Region Basel zur grössten Volleyball-Region der Schweiz geworden. Von den heute insgesamt rund 15'000 lizenzierten Volleyballspieler und -spielerinnen im ganzen Land wohnen deren zweitausend in der Region Basel. Noch vor knapp zehn Jahren waren in der ganzen Schweiz erst 1'300 Volleyballspieler lizenziert, und die Region Basel, wo nur einige wenige Lizenzierte anzutreffen waren, galt damals noch - abgesehen von den Pionierinnen von Uni Basel - als ausgesprochen "harter Boden" für das Volleyballspiel. 

Trainerwechsel steht bevor 

Zurzeit müssen sich die Schweizermeisterinnen mental auf eine gravierende Änderung in der neuen Saison vorbereiten: Die Saison 1978/79 bringt nämlich einen Trainerwechsel - den ersten in der Geschichte der Uni- Volleyball-Baslerinnen! Die erfahrenste (ehemalige) Spielerin, die langjährige Team-Captain und heutige Trainerin des zweiten Damen-Teams, Elisabeth Kessler ("Kessy"), ihres Zeichens auch Assistentin des Nationaltrainers, wird die Nachfolge des "Vaters" der Volleyball-Frauschaft Uni Basel, Fred Haussener, antreten. Nach über fünfzehnjähriger Tätigkeit als Trainer zieht sich Haussener in den Kanton Neuenburg zurück und überlässt das erfolgreichste schweizerische Volleyball-Damenkader einer seiner begabtesten Schülerinnen. 

Elisabeth Kessler ist zweifellos die richtige Nachfolgerin von Fred Haussener. Aber ihre Aufgabe wird schwierig sein. Eine Spielerin erklärt: "Falls wir nächste Saison zum sechzehnten Mal Schweizermeister werden, dann sagen wohl manche: Das ist das Verdienst von Haussener. Und falls es uns nicht gelingen sollte, ist 'Kessy' der Sündenbock." 

Dabei müssen sich die Baslerinnen auf noch stärkere Gegnerschaft als bisher gefasst machen: Wenn die beiden Teams von Lausanne fusionieren sollten, was gegenwärtig zur Diskussion steht, würde Uni Basel eine Konkurrenz erwachsen, die mindestens ebenbürtig wäre.