Gedanken, Gedichte, Aphorismen

von Felix Feigenwinter

 
 
Waldsterben
 
Alle reden
vom Waldsterben
und während sie reden
zerfrisst sie der Krebs
 
 
Alternative
 
Vor die Wahl gestellt
kriegerisch
oder friedlich
bestrahlt zu werden
wählte er
als Pazifist
den friedlichen Tod
 
 
Bekenntnis
Die Erinnerung
an meine Säugetiernatur
ist zuverlässiger
als mein Verständnis
für die Fortschritte der Zivilisation.
Es hat gar keinen
Sinn
an meine Vernunft
zu appellieren.
Mein Grosshirn
appelliert
an mein Stammhirn:
Ich laufe Amok
gegen den Fortschritt
der Menschenvernichtungswaffen.
Menschliche Säuger
sollten wenigstens begreifen:
Ich will kein korrupter Säuger sein.
 
Abendsonne
Leuchtend
wölbt sich der Abend
über die fahl
beschienene Stadt.
Wanderndes Licht
entblösst
die Attrappen.
Kammern dunkeln
im Glanz des Feuers.
Unverdaute Seelen
brechen
durch spiegelndes Glas
in die Strahlen
unendlichen Glühens.
Schatten verschlingen
die Rastlosigkeit.
Im künstlichen Schein
ihrer Festbeleuchtung
zerfliesst
die Zivilisation.
 
Beim Anbruch
des nächsten Tages
aufersteht
ihre Vergänglichkeit.
 
Schwebender Zustand
Verteilt
in verschiedene Kammern
erscheinen
die menschlichen Leben
in Häusern
versammelt
 
Die Häuser
schweben
durch unendliche Räume
und weder Wände, Decken
noch Böden
begrenzen die Sicht
 
Zimmerbewohner
beklagen
den schwebenden Zustand
verbieten
die weite Aussicht
und geben vor, Wurzeln zu schlagen
 
Sommertag (ca 1970)

Die Sonne sticht 
Es stillt so grün 
und blau
die Sicht ins Nichts
o Sehnsucht, die ich spür’
dahinter irgendwo
die Dunkelheit, die Finsternis  
Die Wahrheit lauert schon 
im Swimmingpool
am Telefon -
was wissen wir
davon?
 
Dasein
Das Dasein
spielt sich im Büro ab
das Spiel
ist Ernst geworden
 
Zwischen Computern und Rechenmaschinen
hängen Seelen im Tagschlaf
sie lauern
auf die Dämmerung
verschlingen Programmierungen
flattern übers vakuumverpackte Leben
 
Durchbruch
Meine Seele
schiesst ins Unkraut
wächst durch meine Haut
stösst Kulissen um
durchwuchert die Wände
das Tiefkühlhauses
durchbricht
die Brandmauer
die Staumauer
programmierter Windstille.
Ein Sturm hebt an.
Ich schwimme
in wildreissenden Fluten.
Von weitem
durchs Rauschen deutlich vernehmbar
die hitzigen Rhythmen afrikanischer Trommeln.
Ein breiter Strom
fliesst träge
entlang sonnendurchfluteter Wälder.
Im Urwald
am Strom
mein Traum
der Wirklichkeit
jenseits der Wände.
 
Durch Ritzen
ein Frösteln:
der Sog
aus dem Tiefkühlhaus.
 
Der Winter
holt mich ein.
 
Herbst
Leuchtendes Laub,
die Glut
im aschgrauen Nebel
versickernder Erinnerungen.
Herbeibrausende Stürme
wehn die Verzückung
vom Kastanienbaum.
Die Wahrheit
schneit bald herein,
fliesst ab
in die Ströme
verzweigten Hoffens.
Der dorrende Zweig
am geknickten Ast
verschlingt mein Feuer.
Die Rauchfahne
flattert im Wind
vor Deinem Fenster.
 
Heimkehr
Es regnet
in die Häuserschluchten
zuckende Lichter
durchziehen den Regen
färben den Asphalt
ein vergessener Kinderball
im schwarzen Wasser
einer Pfütze
im Hinterhof
schimmert der Mond
spitze Giebel und Türme
Scherenschnitte
unter dem lila Horizont. 
Mein Dasein
die Glasscheibe
zwischen der Nacht
und dem gelb beleuchteten Zimmer.
Die Frau und das Kind
spielen Eile mit Weile -
ein Kultbild
das mich betrifft.
Die Ikone
trägt mein Namensschild.
Ich betrete die Wohnung
und entschuldige mich
wegen der Störung.
 
Begegnung
Zufällig
einen Augenblick kurz
fiel meine Seele
in Deine Seele
beim alltäglichen Zwischenhalt
an der Bushaltestelle.
Im Spiegel
unserer Blicke
umarmten wir uns
freudig erregt
sekundenschnell
getarnt unter gewöhnlich Wartenden.
Unser Lachen
durch die Fensterscheibe
in der glitzernden Mittagssonne
zertrümmerte
mit unhörbarem Klirren
die gläserne Wand
 
Anruf
Ihr Anruf
sprang
ins Glashaus
seiner Ignoranz.
Der Sprung im Glas
erweckte
sein Musikgehör
und setzte ihn an die Zugluft.
 
Mistblume
Ihre Zuneigung
war eine Zimmerpflanze
er begoss sie regelmässig
sie grünte massvoll
er überliess sie sich selbst
sie trocknete aus
so warf er sie auf den Mist
da begann sie zu blühen.
Als Mistblume
lernt' er sie lieben.
 
Leidenschaft
Er zähmte
seinen Hunger
aus Angst,
ihr Seelengewebe
zu zerreissen.
Als sie sich beschwerte
fasste er Mut
und setzte sich ins Netz.
Blitzschnell umwickelte sie ihn
und verzehrte ihn.
Jetzt grollt sie ihm:
Seine Abwesenheit
kränkt ihren Appetit.
 
 
Vertröstung
Das ist mein Leib, sagte der Herr.
Ich liebe ihn, sagte die Dame.
Meine Liebe ist nicht von dieser Welt, sagte der Herr.
Ich lebe nicht im Jenseits, sagte die Dame.
Noch nicht, sagte der Herr.
 
 
Ein Riesenzwerg
Täglich spazierte ich
an ihm vorbei,
seine Starre ignorierend.
Eines Morgens
erschreckte mich
die schrille Veränderung
im unbeweglichen Gesicht.
Die Tücke sonnigen Lächelns
war auf einmal sichtbar:
eine Brille
sass - wohl spasseshalber - auf seiner Nase.
Im Brillenglas
spiegelte blitzend
die Sonne
die morgens hier manchmal
ins Gärtchen scheint.
So schien
die Gipsfigur
durch Zufall sehr lebendig:
ein gnadenloser Blick
traf den Betrachter.
Der plötzlich
scheinbar blickende
(und vielleicht sehende)
Gartenzweg
raubt mir den Schlaf.
Er schleicht
in meine Träume,
wächst zum Riesen,
erschlägt all jene,
die ihn in Frage stellen.