doppelstab“ 17. Mai 1974:

Dem zum erstenmal unter dem Patronat des „doppelstab“ durchgeführten Schweizer Kilometer-Test für Radsport-Nachwuchs in der Region Basel war in den „Langen Erlen“ ein grosser Erfolg beschieden.

Kilometer-Test endlich auch für Mädchen

Von Felix Feigenwinter
 

Wenn der 'doppelstab' das Patronat übernimmt, müssen doch doppelt so viele mitmachen“, erklärte sich am Ziel Ernst Läderich, als Doyen der Basler Radsportberichterstatter besonders gewitzt, die Rekordbeteiligung am diesjährigen Schweizer Kilometer-Test. Tatsächlich hatte man in der bisher neunjährigen Geschichte dieser offiziellen Test-Veranstaltung des Schweizerischen Rad- und Motorfahrerbundes (SRB) noch nie erlebt, dass sich 90 Jugendliche für einen Regional-Test anmeldeten. Dass dies 1974 zum erstenmal in Basel Wirklichkeit geworden ist, lag gewiss nicht zuletzt daran, dass das Patronat die grösste Zeitung in der Region Basel übernommen hatte. Dieser Meinung war man auch in Kreisen des veranstaltenden Veloclub Binningen und des SRB. Der viel beachtete Aufruf im „doppelstab“ hatte noch eine andere erfreuliche Wirkung:

Zum erstenmal meldeten sich für diesen Kilometer-Test, der vor neun Jahren zur Entdeckung von männlichem Radsport-Nachwuchs eingeführt worden war, auch weibliche Radsportbegeisterte.

Dass die drei betreffenden jungen Damen, welche diese Herausforderung an eine patriarchalische Tradition wagten, willkommen waren, darf alle Radsportfreundinnen ermutigen, denen der Zugang zum aktiven Rennsport in der Schweiz bisher verwehrt blieb. Von den drei Pionierinnen, die sich zum Kilometer-Test in Basel angemeldet hatten, verzichteten dann allerdings zwei kurz vor dem Rennen doch freiwillig auf die Teilnahme – vielleicht angesichts der männlichen „Übermacht“?

So nahm schliesslich die vierzehnjährige Helene Siegrist aus Binningen als erstes und bisher einziges Mädchen den Schweizer Kilometer-Test in Angriff, und zwar auf ihrem ganz normalen, mit keinerlei rennsportspezifischer Ausrüstung veränderten Damenvelo! Ihr Resultat darf sich unter diesen Umständen sicher sehen lassen: Für ihre Fahrt auf der ebenen und schnurgeraden Strecke in den Langen Erlen benötigte sie weniger als zwei Minuten, nämlich eine Minute und 53,2 Sekunden. Damit belegte sie in der Kategorie „Nichtlizenzierte“ den 48. Rang, wobei sie unter anderen einen um zwei Jahre älteren männlichen Rennfahrer, der den Kilometer in mehr als zwei Minuten zurücklegte, um drei Ränge und zwölf Sekunden distanzierte. Am Ziel erzählte mir die mutige Pionierin dann, einige Zuschauer hätten sie auf der Strecke ausgelacht und ihr spöttische Bemerkungen zugerufen – was doch wieder einmal beweist, durch welch rückständige Brille hierzulande radsportbegeisterte junge Frauen immer noch betrachtet werden. Helene Siegrist bekannte, sie habe sich für ihren Kilometer-Spurt nicht speziell vorbereitet: „Ich habe nicht extra trainiert, fahre aber meinen täglichen Schulweg auf dem Velo: Von der Baslerstrasse bis zum Spiegelfeldschulhaus. Da geht es immer hinauf...“ Vielleicht organisiert gelegentlich jemand ein Damen-Bergrennen, an welchem Helene brillieren kann?

Ex-Schweizermeister gratuliert dem sechsjährigen Philipp

Ebenfalls ziemlich unvorbereitet erschien der jüngste Teilnehmer, der erst sechsjährige Philipp Von Burg aus Basel am Start. Auch er fuhr auf einem gewöhnlichen Velo – und auch er hatte nicht speziell trainiert. Doch dieser Knirps, der bisher Velorennen vor allem am Fernsehen gesehen hat, zeigte einen vorbildlichen Einsatz bis zum Zielstrich. Dass er mit seiner Zeit von genau drei Minuten den Schwanz der Rangliste der Kategorie „Nichtlizenzierte“ ziert, war nicht anders zu erwarten. Wenn er aber so weiter macht, könnte er bis in zehn Jahren einen neuen Streckenrekord aufstellen. Der Ehrenstarter Fritz Galatti, früher sowohl als Strassen- als auch als Bahnfahrer ein guter Profi (mit Schweizermeister-Titel), liess es sich nicht nehmen, dem kleinsten und jüngsten Teilnehmer nach dessen atemloser Ankunft am Ziel persönlich zu gratulieren.

Wie der Vater...

Weniger dillettantisch punkto Vorbereitung ging es bei älteren Teilnehmern der Kategorie „Lizenzierte“ zu. Einige dieser Nachwuchsfahrer haben einen eigenen „Rennstall“ gegründet: Ihre auf Mass konstruierten Rennvelos haben sie selber gebaut und mit dem vielversprechenden Namen „Piranha“ versehen. Entsprechend sorgfältig haben sie auch trainiert. All das hat sich in den Resultaten niedergeschlagen: Zwei der „Piranha“-Rennfahrer (die noch einen Sponsor suchen) führen die Rangliste an: Daniel Herter (Jahrgang 1956) errang den zweiten, und Jürg Gasser (Jahrgang 1955) den dritten Rang, mit den hervorragenden Zeiten 1:17,2 beziehungsweise 1:17,4.
 

Schneller war nur noch der zwanzigjährige Heinz Arnold aus Basel, der gewiss davon profitiert, Sohn des ehemaligen Tour-de-France-Teilnehmers Werner Arnold zu sein. Heinz Arnolds Glanzzeit: 1:15,8!

Teilnahmeberechtigt am Halbfinal, der im Juni stattfinden wird, sind die Fahrer mit den sechs besten Zeiten. Keinem der Nichtlizenzierten ist es gelungen, zu diesen “Auserwählten“ vorzudringen – wobei aber immerhin die vier besten der „Nichtlizenzierten“ bessere Zeiten herausfuhren als der im 7. Rang Klassierte der ersten Kategorie. Dank eifrigem Trainieren – und vielleicht auch mit technisch sorgfältigerer Vorbereitung – mag mancher, der dieses Jahr noch zum Durchschnitt gehörte, schon nächstes Jahr reelle Chance zum Weiterkommen haben.

Für viele stand aber der Plausch am Mitmachen im Vordergrund, nicht das Siegenwollen. Die Freude, an einem „richtigen“ Rennen teilnehmen zu können, stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Und alle durften einen vom „doppelstab“ gestifteten Preis entgegennehmen.