"doppelstab" 30.Juli 1980


Jungfrau und Ziegenbock

Von Felix Feigenwinter


So weltbekannt wie die literarischen Grusel-Grafen sind sie zwar nicht, die ehemaligen Bewohner der Burgen in der Landschaft Basel. Aber die Erinnerung an die Ritter, Burgfräuleins und Landvögte in der Region Basel ist unter altgeingesessenen Bewohnern von Zunzgen, Thürnen, Eptingen, Känerkinden, Ormalingen und vielen anderen Gemeinden auch heute noch lebendig. Mündliche Überlieferungen berichten einerseits von merkwürdig lichten, geradezu feenhaften Phänomenen, andererseits aber auch von äusserst finsteren Gestalten. Da solche manchmal auch in vergilbten historischen Dokumenten auftauchen, scheint der Bezug zu wirklichen Figuren der Vergangenheit gewährleistet. 

Es ist übrigens das Verdienst von Paul Suter und Eduard Strübin, wenigstens einen Teil dieser Baselbieter Mythen im Buch "Baselbieter Sagen" der Nachwelt erhalten zu haben. Als Band 14 der "Quellen und Forschungen zur Geschichte und Landeskunde des Kantons Baselland" ist diese Sammlung 1976 von der Kantonalen Drucksachen- und Materialzentrale in Liestal neu herausgegeben worden.
 

Goldgehörnter Ziegenbock

Eindeutig freundlich - aber dennoch unheimlich - mutet die Legende von der weiss gekleideten Jungfrau an, die am Karfreitag im Diegtertal vom auch sonst sagenumwobenen "Büchel" am Dorfausgang von Zunzgen zum Diegterbach hinuntersteige. Dort wasche sie sich und ordne das Haar mit einem goldenen Kamm, um nachher auf den "Büchel" zurückzukehren und ebenso geheimnisvoll zu verschwinden, wie sie aufgetaucht sei. An Ostern reite diese Dame gar auf einem weissen Ziegenbock mit goldenen Hörnern, wird weiter erzählt. Der "Büchel" ist auch von der Autobahn her gut sichtbar. Er war schon Gegenstand abenteuerlicher Spekulationen. So wurde gemunkelt, bei dem grasüberwachsenen Hügel von 15 Metern Höhe handele es sich um das Grab des Hunnenkönigs Attila. Die Volkssage berichtet ausserdem von einer Kapelle, die dort gestanden habe. Vor rund dreissig Jahren förderten dann allerdings wissenschaftliche Ausgrabungen Reste einer bisher unbekannten frühmittelalterlichen Burganlage zutage.

Über die historische Bedeutung und die Bewohner dieser Burg tappt man auch heute noch im Dunkeln. So bleibt wohl auch die Bedeutung der Jungfrau auf dem goldgehörnten Ziegenbock ein ungelöstes mythisches Geheimnis. 

Interessanterweise ist eine sehr ähnliche Erscheinung in einem anderen Oberbaselbieter Dorf gesichtet worden: In Thürnen im Homburgertal ist von einer "wunderbaren Reiterin" die Rede, die bei hellem Mondschein in Richtung Sissach in weissem Kleid und mit fliegendem Haar auf einem Ziegenbock dem verfallenen Schloss Bischofsstein zueilt.
 

Geisterfräulein hütet Schatz

Nicht minder märchenhaft wirkt das Burgfräulein, das in Eptingen Hauptfigur einer romantischen Schatzgräber-Legende ist. Die bewegte Vergangenheit dieses Juradorfes als Sitz der Herren von Eptingen mit ihren Burgen Schanz, Rucheptingen bzw. Renken und Wildeptingen beflügelten die Dorfbewohner jahrhundertelang zu phantastischen Mutmassungen und Mären. Im letzten Jahrhundert soll das Geister-Burgfräulein von Dorfbewohnern bei der ehemaligen Burg Renken in einem tiefen Schacht auf einer eisernen Schatzkiste sitzend entdeckt worden sein. Es soll damals viele "Schatzgräber" aus Eptingen und Umgebung angelockt haben. Doch alle Zauberformeln, die diese angewandt hätten, um die Burgdame zur Freigabe des von ihr gehüteten Schatzes zu bewegen, sollen nichts gefruchtet haben. Und als später beherzte Männer daran gingen, nach dem legendären Schatz zu graben, sei die Grube am nächsten Tag jedesmal auf geheimnisvolle Weise wieder zugedeckt gewesen.  

Erinnerungen an vergangene Burgromantik gibt es sodann aus der Umgebung von Arisdorf zu melden, wo auf der "Geisspitz", wo einst die Burg Geiseck stand, der Graf von Geiseck hoch zu Ross noch Jahrhunderte nach seinem Tod gesehen wurde, wie er "seine Rittergeschwader ordnete". Zu einer Zeit, als Ritter längst Figuren aus dem Geschichtsunterricht waren, wurden staunende Spaziergänger Zeugen von Ritterturnieren, und einige von ihnen wollen deutlich den Grafen von Geiseck erkannt haben, wie sie ihn auf alten Bildern gesehen hätten... Ein ähnlicher Spuk ist aus Pratteln überliefert, wo der büssende Geist eines Ritters von der legendären Burg Madlen, der auf der Jagd den Edlen von Schauenburg erschlagen habe, als "Madlenjäger" in die Volkssage eingegangen ist. 

Glühende Augen

Aber nicht nur mittelalterliche Burgbewohner sind in schaurig-schönen Erinnerungen lebendig geblieben. Auch das spätere Wirken von Basler Landvögten sorgte für Legenden. Einen gar grässlichen Spuk erlebten Bewohner aus dem Homburgertal. Sie entdeckten einen "Mann in einem schwarzen Hut mit glühenden Augen aus einem Fensterschlitz der Ruine Homburg heraussehen". Es braucht keine allzu grosse Phantasie, diese Erscheinung mit der Erinnerung an die einst zum Teil sehr unbarmherzigen Landvögte in Verbindung zu bringen. Das schlechte Verhältnis des Landvogts Philipp Gemuseus zur Landbevölkerung schildert eine Geschichte, die sich im Jahr 1795 zugetragen haben soll. Damals sei der Landvogt auf Homburg von Buckten nach Känerkinden geritten, da er Amtsgeschäfte zu besorgen hatte. In der Wassergasse begegneten dem Reiter Kinder, die in Buckten Salz holten. Dass ihn diese nicht grüssten, empörte den Obervogt so sehr, dass er einen kleinen Knaben gefangen nahm und nach Känerkinden brachte. Dem Wächter erteilte er den Befehl, die anderen Kindern, die vor ihm geflüchtet waren, hätten am nächsten Morgen zum Verhör zu erscheinen. Die Eltern nahmen diese Weisung nicht ernst. Doch der Landvogt schrieb ihnen: den Geschworenen werde "auf das Ernsthafteste und bei fünf Pfund Strafe befohlen zu veranstalten, dass ohne Fehler die Buben und Maidli" aufs Schloss kämen. Im Dorf erzitterten Kinder und Mütter, und nur der mutige Vorstoss eines Vaters und die Vermittlung durch den Pfarrer Iselin zu Rümlingen verhinderten eine noch schlimmere Machtanmassung des Kinderschrecks. Nur wenige Zeit nach diesem Vorfall rächten sich die schikanierten "umwohnenden Unterthanen": Sie legten das Schloss in Schutt und Asche.
 

Bräute für den Vogt

Mindestens so märchenhaft-schrecklich hört sich die Gewohnheit des auf der Farnsburg residierenden Basler Landvogts an. Paare, die heiraten wollten, hatten sich bei ihm vorzustellen und um Heiratserlaubnis zu bitten. Wurde diese erteilt, hatte der junge Ehemann dem Vogt "seine junge Frau die ersten Jahre aufs Schloss zu geben"... So ist es eigentlich verständlich, dass auch diese Untertanen das schöne Höhenschloss 1798 zerstörten. Der Vogt selber konnte sich in Sicherheit bringen, aber seine Frau wurde von den rasenden Bauern die 80 Stufen hohe Burgtreppe an den Haaren heruntergeschleppt.