Luzerner Neuste Nachrichten“ - 24. Februar 1981

Glaubenskrieg geht weiter

Von Felix Feigenwinter


Auf 177 Seiten legt uns die Eidgenössische Energiekommission in ihrem gestern veröffentlichten Bericht dar, ob und warum (beziehungsweise warum keine) Energielücken bis zum nicht mehr fernen Ende dieses Jahrhunderts und -tausends zu erwarten seien, die den Bau neuer grosser Stromerzeugungswerke nötig (oder eben nicht nötig) machten.
 

Wie es bei der pluralistischen Zusammensetzung der Kommission nicht anders zu erwarten (und natürlich, aus demokratischer Sicht, auch nicht anders zu wünschen) war, kommen verschiedene Perspektiven und Schlussfolgerungen zur Geltung:
 

  • Ein Drittel der 21köpfigen Kommission rechnet schon auf Ende dieses Jahrzehnts (1989/90) mit einer Versorgungslücke, die vor allem durch Atomkraftwerke zu schliessen sei;

  • ein knappes Drittel (sechs Mitglieder) rechnet für 1989/90 mit kleineren und bis 2000 mit grösseren Versorgungslücken; diese seien, so die etwas optimistischeren Prognostiker, „entweder durch kombinierte Kohle/Gas-Kraftwerke, Wasserkraftwerke oder durch ein Atomkraftwerk“ zu decken; die übrigen Kommissionsmitglieder erwarten überhaupt keine Versorgungslücken bis zum Jahr 2000. Sie sehen keinen Bedarf für neue Stromerzeugungsanlagen, schon gar nicht für Atomkraftwerke.

Wen wundert's, dass infolge dieser scheinbar nahezu „ausgewogenen“ Kommissionsmeinung die harten Fronten zwischen A-Werk-Befürwortern und A-Werk-Gegnern keineswegs aufgeweicht worden sind, wie sich das vielleicht entscheidungsbange Politiker insgeheim erhofft haben. Im Gegenteil treten sie nun noch klarer, sozusagen strukturierter zutage.
 

Die ersten Reaktionen auf den Energiebericht widerspiegeln denn auch die in beiden Lagern immer noch ausgeprägte Entschlossenheit, sich kompromisslos durchzusetzen: sowohl Befürworter als auch Gegner der Atomenergie frohlocken. Die Schlussfolgerungen legen beide Lager zu ihren Gunsten aus. Der Glaubenskrieg geht weiter. Für die Bundesräte, die jetzt den „Schwarzen Peter“ zugeschoben erhalten, kein Grund zur Beruhigung...
 

Ob das Verhältnis zwischen eindeutigen und gemässigten Befürwortern der Kernkraft sowie entschiedenen A-Werk-Gegnern in der Kommission ungefähr jenem im Schweizervolk entspricht, ist allerdings eine immer noch unbeantwortete Frage. Wenn es zum Beispiel nach der Region Basel ginge, wo Volksabstimmungen klare Mehrheiten gegen die A-Werke ergaben, wäre die A-Werk-Gegnerschaft deutlich untervertreten. Doch nicht alle Schweizer reagieren wahrscheinlich derart sensibel wie die Nordwestschweizer in dem von einer einzigartigen Ansammlung von A-Werken bedrohten Dreiländereck. Bevorstehende weitere „Atomabstimmungen“, demnächst in den Kantonen Bern und St. Gallen, dürften da ein wenig mehr Klarheit schaffen.