"doppelstab" - Februar 1975

Der Schrei nach dem "Jahr des Mannes"

Von Felix Feigenwinter

Erklungen ist der Schrei in der Leserbrief-Spalte einer Baselbieter Tageszeitung, und zwar, nachdem das so viel zitierte "Jahr der Frau" noch nicht einmal eine Lebensdauer von einem Monat hatte. Der Schrei stammt interessanterweise von einer Frau. "Ich habe das Gefühl", so schreibt die betreffende Dame mit Blick auf den Frauenkongress in Bern, "dass diese übereifrigen Frauenrechtlerinnen unzufriedene und in der Liebe enttäuschte Frauen sind. Sie sind verbittert und nun muss die ganze Männerwelt den Kopf herhalten" - Und: "Im Zeichen der Gleichberechtigung wäre ein Jahr des Mannes wohl angebracht. Wie wäre es mit 1976?"

Was gibt es zu so viel weiblicher Selbstlosigkeit (gegenüber von Männern) bzw. Selbstzerknirschung (gegenüber dem eigenen Geschlecht) aus der Sicht eines Mannes zu sagen, der die letzten Reste patriarchaler Grimmigkeit längst vor Anbruch des "Jahres der Frau" abgelegt zu haben sich rühmt und davon überzeugt ist, dass die "Entsklavung der Frau" ausser zum Wohl der Frauen und der Kinder auch sogar zum Wohl der Männer wäre?

Vielleicht dies: Es ist immer leicht, Individuen oder Gruppen, die um ihre Rechte kämpfen, als lächerlich hinzustellen - besonders dann, wenn sie mehr oder weniger rechtlos einer starken, die Macht verkörpernden Mehrheit gegenüberstehen. Bei politisierenden, ihre eigenen Interessen vertretenden Männern spricht allerdings kaum jemand im diskriminierenden Sinn von "Unzufriedenen", und ich habe auch noch nie gehört oder gelesen, dass die sich in der politischen Auseinandersetzung profilierenden Repräsentanten einer männlichen Bevölkerungsgruppe als "in der Liebe enttäuschte Männer" hingestellt werden... Dass wir alle in einem typischen Männerstaat aufgewachsen sind und uns so sehr an die männliche "Alleinherrschaft" gewöhnt haben, soll uns - vier Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts - nicht daran hindern, kämpferisch auftretenden Frauen das (demokratische!) Recht zur Formulierung ihres Unbehagens zuzugestehen. Dies umso weniger, als es diesen Frauen vorher jahre- und jahrzehntelang verwehrt blieb, ihre Anliegen wirksam vorzubringen. Und damit wäre wohl auch der meines Erachtens groteske Vorschlag nach einem "Jahr des Mannes" beantwortet: Nach einer endlosen Reihe "Jahre des Mannes" ist doch nun eigentlich wirklich die Frau an der Reihe.
Aber eben - A.R. Roth aus Basel analysiert das Problem in einem Vers schnitzelbänklerischen Zuschnitts mit scharfsinniger Ironie:

"Me wird de Fraue 's Rächt nie gää,

si miesste's scho vo sälber näh,

Doch d'Männerwält isch uff der Huet

und d'Fraue hänn viel z'wenig Muet.

Si kämpfe gege's eige G'schlächt -

solang's so blybt - hänn d'Männer rächt!"


Was, mit anderen Worten, ein Aufruf an die Solidarität der Frauen unter sich wäre.