Eine Party für Herrn Vögeli

Kriminalgeschichte von Felix Feigenwinter

 

Vor dem Eindunkeln sagte Frau Vögeli zu ihrem Gatten: "Bist du bereit, Matthias? Wir sollten endlich gehen!"

"Ach, diese Party", antwortete Herr Vögeli, "ausgerechnet heute abend. Ich habe eigentlich gar keine Lust!"

"Heute vor zwanzig Jahren haben wir geheiratet", rief Frau Vögeli in Erinnerung, und ihre Stimme klang bitter.

"Das ist allerdings ein Grund zum Feiern!"

"Eben", bestätigte die Gattin, den Spott scheinbar ignorierend, "wir sind es Grafs schuldig. Schliesslich war Brigitte unsere Trauzeugin!"

"Muss man denn dauernd daran erinnert werden?" meckerte Herr Vögeli, "und überhaupt, was hat das mit mir zu tun? Brigitte ist deine Freundin. Mich hat sie von Anfang an nie gemocht. Sie mäkelte schon damals an mir herum. Nein, ausgerechnet Brigitte... diese Nörgeltante!"

"Zwanzig Jahre muss ich das nun schon ausstehen, du Nörgelonkel!...So mach dich endlich fertig, das Taxi kommt gleich!"

"Ich bin ja fertig!" brummte Vögeli.

"Die Badehose...hast du die schon an?"

"Die Badehose?!"

"Du hast doch selber gesagt, du möchtest schwimmen", meinte Frau Vögeli; "da die doch einen Swimmingpool haben."

"Nicht ich habe das gesagt...du hast es gesagt. Es war deine Idee!"

"Brigittes Idee. Eine gute Idee. Die Gäste können sich ein wenig erfrischen. Bei dieser Hitze! Weißt du noch, an der Party im letzten Sommer? Dein Sprung vom Balkon... das war eine Show!"

Der Dreiklang der Wohnungsglocke  unterbrach den ehelichen Dialog.

"Das Taxi!" rief die Gattin. "Komm, sonst muss der lange warten!"

"Ich bin noch nicht fertig... muss noch die Badehose anziehen!"

"Mein Gott... welche Strafe, mit so einem Mann verheiratet zu sein! Ich warte unten im Taxi! Beeil dich!"

 

Gegen zwei Dutzend Gäste bevölkerten Grafs Villa. Der Hausherr fachsimpelte an der Hausbar im Keller mit Geschäftsfreunden, und während Herr Vögeli in die oberen Stockwerke stieg, fragte Frau Graf Susanne Vögeli im Foyer:

"Was ist mit deinem Mann? Der wirkt so... wie soll ich sagen? Ist was?"

"Der ist doch immer so!" beruhigte Frau Vögeli, "es ist alles in Ordnung. Sogar die Badehose hat er mitgenommen!"

 

Im zweiten Stock, in Xaver Grafs Herrenzimmer, traf Mathias Vögeli einen älteren Gast. Er sass im matten Schein einer Ständerlampe aufrecht im Sessel einer Polstergruppe, ein leergetrunkenes Weinglas wie einen kostbaren Kelch in der Hand haltend.

"Herr Marti", wurde ihm der gepflegte Herr vorgestellt, "ein Privatgelehrter. Er befasst sich mit Traumdeutung."

Noch während sich Vögeli überlegte, wie er den Stoiker im Polstersessel zu einer Konversation bewegen könnte, bemerkte er, dass Martis helle Augen an ihm vorbei in den Raum hinter dem Türausgang starrten, wo nun auch Frau Graf und Susanne auftauchten.

"Gehen wir in den Garten? Vielleicht kommt doch kein Gewitter...", hörte er Brigitte noch sagen; danach verschwanden die beiden Freundinnen auf der Treppe.

Vögeli wollte ihnen folgen, doch der Herr im Polstersessel rief ihn zurück.

"Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen", sagte er unerwartet. "Sind Sie vermögend?"

"Nein", bekannte Herr Vögeli, überrascht ob der Direktheit des Alten, "leider nicht. Überhaupt nicht."

"Keine Lebensversicherung?" forschte Marti.

"Doch", stammelte Vögeli, "doch... eine Lebensversicherung. Sogar eine recht hohe. Die Prämien belasten uns. Meine Frau liess sich von einem Versicherungsvertreter überreden und hat mich so lange beschwatzt, bis ich die Unterschrift unter den Vertrag setzte."

"Wer würde bei einem Ableben profitieren?"

"Wenn ich sterben würde?... Meine Frau natürlich."

"Gut", meinte Herr Marti, "gestatten Sie mir eine letzte Frage. Haben Sie eine Badehose mitgenommen?"

"Eine... was?"

"Eine Badehose."

"Ja", flüsterte Vögeli, noch immer verdattert über das rätselhafte Verhör, "ich habe sie angezogen, um vielleicht ins Bassin zu springen."

"Vom Balkon aus, nehme ich an", sagte Marti mit gedämpfter Stimme. "Ich hoffe, Sie haben starke Nerven, damit Sie verkraften, was ich Ihnen jetzt verrate. Sie begegneten mir gestern nacht im Traum - obwohl ich sie vorher noch nie gesehen hatte! Als Sie vorhin das Zimmer betraten, habe ich Sie sofort erkannt. In meinem Traum sprangen Sie vom Balkon in die Nacht; es war etwa so dunkel wir jetzt dahinten im Garten, wo ausser der Balkontür keine Hausöffnung Licht nach draussen wirft. Später lagen Sie, nur mit einer Badehose bekleidet, auf dem Rücken auf dem trockenen Bassinboden, mit starren Augen zwischen zwischen weit aufgerissenen Lidern, die Arme wie im Flug ausgebreitet. Plötzlich blitzte und donnerte es, und ein heftiger Regen setzte ein. Er prasselte auf Ihren fast unbekleideten Körper. Danach erwachte ich."

Von draussen hörte man Stimmen, übertönt von Frau Vögelis Lockruf; sie war, wie die meisten Gäste um diese Zeit, wohl angetrunken:

 "Matthias, wir sind hier im Garten! Zeig dich auf dem Balkon!"

Herr Marti erhob sich, durchquerte mit Vögeli das Herrenzimmer, und die beiden Männer erschienen auf dem Balkon, schattenhaft wie zwei Gespenster.

"Wie deuten Sie Ihren Traum?" hauchte Vögeli, fassungslos in den finstern Garten starrend.

"Es war ein visionärer Traum", murmelte Marti, "ein Warntraum..."

Seine Stimme wurde durch Susanne Vögelis erneutes Rufen übertönt: "Wo bleibt deine berühmte Show, Matthias?"

In diesem Augenblick erhellte ein Blitz für einen Moment den Garten.

"Schauen Sie ins Bassin!"

"Es ist leer... Sie haben mir das Leben gerettet!" Er zog den Alten schaudernd ins Zimmer zurück.

"Für mich ist diese Erfahrung jedenfalls interessant", meinte Marti trocken; "ich werde den Fall in meinem nächsten Buch über Traumdeutung erwähnen."

"Sie schreiben ein Buch!? Wann kommt es heraus?"

"Im nächsten Herbst. Es ist fast fertig geschrieben - nur ein authentisches Beispiel für den visionären Traum fehlte mir noch. Dank Ihnen und dem deliktischen Paar da unten kann ich diese Lücke jetzt schliessen."

"Deliktisches Paar?"

"Frau Graf und Ihre Frau", erläuterte Marti. "Als ich die beiden Damen vorhin beobachtete, war mir der kriminalistische Aspekt meines Traums plötzlich glasklar."

"Meine Frau hat zusammen mit Frau Graf meinen Sturz ins leere Bassin geplant, um das Verbrechen als Unfall zu tarnen?" kombinierte Vögeli, und seine Worte wurden vom Donnergrollen aus der Ferne untermalt.

"Mord mit dem Ziel eines Versicherungsbetrugs, denke ich", bestätigte Marti; "es wird für Sie in Zukunft wohl schwierig werden, das Leben an der Seite Ihrer Frau..."

"Es ist für beide seit zwanzig Jahren schwierig", sagte Vögeli. "Trotzdem, ich werde Ihr Buch meiner Frau zum Geburtstag schenken. Es soll eine Überraschung sein. Daher bitte ich Sie, ihr ja nichts zu verraten!"

"Mein Interesse an der Traumdeutung ist rein wissenschaftlich", lächelte jetzt Marti, "ich werde Ihre Frau sicher nicht anzeigen. Das müssten Sie schon selber tun. Versuchter Mord, kombiniert mit versuchtem Versicherungsbetrug - ein starkes Stück! Nur: ein visionärer Traum würde vor Gericht kaum als Beweis akzeptiert."       

Plötzlich setzte der Gewitterregen ein. Ein Blitz durchzuckte den Garten.

"Gehen wir hinunter", schlug Marti vor, "niemand wird von Ihnen heute Nacht noch verlangen, dass Sie ins Bassin springen... bei diesem Gewitter!"

 

Diese Geschichte wurde am 13. August 1985 in der "Berner Zeitung" veröffentlicht und erschien unter dem Titel "Die Badehose" auch im Nebelspalter Nr. 40/1987