Basler Volksblatt“ 10. Juli 1964

Von der Beaujolais-Schnecke zur Wassermilch

Von Felix Feigenwinter


Kürzlich trank ich im Freundeskreis Beaujolais. Der Wein hatte einen seltsamen Beigeschmack, und je leerer die Flasche wurde, desto aufdringlicher wurde der Geschmack. Schliesslich entdeckten wir eine – natürlich – tote Schnecke in der Flasche.

Solche und ähnliche Fälle können dem kantonalen Lebensmittelinspektor gemeldet werden. In unserem Fall stellte es sich heraus, dass sich das Tierchen beim Importeur, der den Wein abfüllte, in die Flasche verirrt hatte. Die Schnecke konnte man wegen ihres selbstmörderischen Verhaltens natürlich nicht bestrafen. Hingegen musste sich der Importeur wegen fahrlässiger Lebensmittelfälschung vor Gericht verantworten.

Milchpanschen aus Rache und Neid

Um Näheres über seine Tätigkeit zu erfahren, begleite ich den basellandschaftlichen Lebensmittelinspektor Paul Seitz auf einer seiner Inspektionen. Die Fahrt geht im Morgengrauen nach Bottmingen. Vor dem Milchlokal ziehen Paul Seitz und sein Assistent, ein Laborant, Gummistiefel über und laden drei Harassen mit leeren Milchflaschen aus dem Gepäckraum des Autos. Den Bottminger Milchmann, der um die frühe Morgenstunde auf die Milch liefernden Bauern wartet, erstaunt der unangemeldete Besuch nicht, denn er weiss, dass die beiden kritischen Herren aus Liestal einmal bis dreimal in der Woche mit ihren leeren Milchflaschen in irgendeinem Milchlokal im Baselbiet auftauchen. Jährlich werden auf diese Weise durchschnittlich drei bis fünf Milchpanscher ermittelt. Paul Seitz erklärt, dass nicht nur aus Gewinnsucht gepanscht werde. Einmal wässerte ein Knecht die Milch, um sich an seinem Arbeitgeber zu rächen. Ein anderes Mal mischte ein neidischer Bauer Wasser unter die Milch des Nachbarn, um diesem zu schaden.

Die Milch mit den Händen auf der Strasse verteilt

Zuweilen erlebt der Lebensmittelinspektor erstaunliche Situationen. Der Bauer, der beim Anblick des Milchkontrolleurs auf der Schwelle zum Milchlokal stolpert und dabei alle seine Milch verschüttet, ist Paul Seitz wiederholt begegnet. „Ausserordentlich verdächtig benahm sich einmal eine Bäuerin“, erzählt mir der Assistent. „Als sie uns erblickte, machte sie rechtsumkehrt und flüchtete mit ihrer Milch heimwärts. Ich eilte der Frau nach und holte sie ein. Da warf sie den Wagen mit den Milchkannen um und verteilte die Milch mit den Händen auf der Strasse.“ Man konnte der Frau nicht nachweisen, dass sie die Milch gewässert hatte. Sie wurde aber wegen Amtserschwerung bestraft.

Feine, bräunliche Körner

In Bottmingen wickelt sich die Milchkontrolle ohne solche dramatische Zwischenfälle ab. Paul Seitz nimmt aber nicht nur Milchproben. Prüfend, ähnlich wie ein Militärinstruktor Gewehrläufe inspiziert, späht er durch das Rohr, durch welches die Milch zum Kühlapparat zu fliessen hat. Das Rohr ist blank und rein. Auch die Kontrolle des Milchkühlers fällt zufriedenstellend aus.

Im Labor des Lebensmittelinspektorats im Verwaltungsgebäude in Liestal begutachtet eine mit einer weissen Schürze bekleidete Dame die Milch, die der Inspektor und der Assistent von ihrem Morgenausflug mitbringen. Am Boden einer Flasche haben sich feine, bräunliche Körner angesammelt. „Diese Milch ist nicht ganz sauber“,kommentiert die Dame, „aber der Schmutz ist zu geringfügig, um gesundheitsschädigend zu wirken.“ Die Bauern, die schmutzige Milch abliefern, ermahnt Paul Seitz mit einem Brief, ihre Kühe und Ställe sauberer zu halten, beim Melken saubere Kleider zu tragen und die Hände vor dem Melken gründlich zu waschen. In krassen Fällen sieht sich Seitz die Kühe und den Tatort an, um die Ursachen abzuklären. Nützt die Mahnung nichts, wird Anzeige erstattet.

Je nach Kuh

Die Laborantin setzt der Milch eine Säure zu. Auf diese Weise bestimmt sie den Fettgehalt, der mindestens drei Prozent ausmachen muss. Weist die kontrollierte Milch weniger Fett auf, so nimmt der Lebensmittelinspektor innerhalb von drei Tagen im Stall des betreffenden Bauern von jeder Kuh eine Milchprobe, um festzustellen, welche Tiere fettarme Milch produzieren. Die Milch solcher Kühe wird für den Handel gesperrt. Alter, Gesundheit und Rasse einer Kuh, aber auch ihr Futter können den Fettgehalt beeinflussen. So liefern beispielsweise die Freiburger Kühe Milch mit weniger Fett als die Simmentaler.

Um festzustellen, ob Milch mit Wasser gepanscht wird, ermittelt man zuerst das spezifische Gewicht. Beträgt dieses weniger als 1,031, so kann angenommen werden, dass die Milch Wasser enthält. Die Untersuchung des Milchserums bringt es an den Tag, ob Nitrate vorhanden sind. Nitrate kommen in der Milch nicht vor, wohl aber im Wasser...

Sind die Fischfilets kalt genug gelagert?

Der Lebensmittelinspektor befasst sich aber nicht nur mit Milch und Schnecken im Wein. Ihm untersteht auch die Kontrolle des Trinkwassers. Sodann besucht er Lagerhäuser, Lebensmittelgeschäfte, Wirtshäuser und dergleichen und sieht nach, ob die Ess- und Trinkwaren auch schön nach den Bestimmungen der „Verordnung über den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen“ aufbewahrt, feilgehalten und verkauft werden. Er überprüft zum Beispiel die Warenanschriften auf ihre Richtigkeit, sieht nach, ob Fischfilets kalt genug gelagert sind, vergleicht die angegebenen mit den tatsächlichen Warengewichten. Von solchen Augenscheinen kehren Paul Seitz und sein Mitarbeiter oft schwer beladen zurück. Die zur Überprüfung auf Echtheit und Geniessbarkeit ins Labor getragenen Lebensmittel vergütet der Staat den Geschäftsinhabern zu den Ankaufspreisen. Nicht selten kommt es vor, dass Kunden eines Geschäfts oder Gäste von Restaurants dem Lebensmittelinspektor telephonieren, um ihn auf Missstände aufmerksam zu machen.