Basler Volksblatt“ 11. Juli 1964:

Blick in eine Bezirksschreiberei

Von Felix Feigenwinter

Wenn sich auf einer Bezirksschreiberei im Baselbiet jemand nach dem „Herrn Doktor“ erkundigt, so nicken die Beamten verständnisvoll, und der Betreffende wird zu einer Türe geführt, auf welcher „Bezirksschreiber“ steht, obwohl der Mann, der hinter der Tür sitzt, kein Herr Doktor ist. Uneingeweihte nehmen ohne weiteres an, dass die Bezirksschreiber Juristen sind. Tatsächlich ist es etwas Seltsames und Bemerkenswertes, dass die Männer (Bezirksschreiberinnen gibt es bis heute keine), die den Baselbieter Grundbuchämtern, Erbschaftsämtern, Betreibungs- und Konkursämtern vorstehen und dazu noch als Notare Kauf- und Tauschverträge, Schuldbriefe und andere Schriftstücke beurkunden, ihre berufliche Karriere als einfache Kanzlisten begannen und sich ihr vielseitiges Wissen zum Teil autodidaktisch durch Studien von Verordnungen und Gesetzen und von Sammeln von praktischen Erfahrungen, zum Teil auch in Weiterbildungskursen für Staatsbeamte aneigneten. Beamte, die im Kanton Basel-Landschaft Bezirksschreiber werden wollen, müssen an einer Prüfung ihre Fähigkeiten beweisen und sich danach echt demokratisch durch die Stimmbürger für die Dauer von jeweils drei Jahren wählen lassen.

Gegen Muskelkater immun

Um zu erfahren, wie es in einer Bezirksschreiberei aussieht, fahre ich nach Liestal. (Die vier anderen Bezirksschreibereien befinden sich in Arlesheim, Binningen, Sissach und Waldenburg.) Auf dem Erbschaftsamt begegne ich dunkel gekleideten Herren. Die Erbschaftsbeamten nehmen fast täglich Inventare in Trauerhäusern auf, was ein entsprechendes Auftreten verlangt.

Auf dem Grundbuchamt schleppen die Beamten grosse, schwarz eingebundene Folianten umher. Jedes Buch ist über zehn Kilo schwer. Neu eingetretene, ungeübte Beamte und vor allem Kanzlistinnen leiden in der ersten Zeit an Muskelkater. Ältere Beamten sind dagegen immun. Die Grundbücher enthalten handschriftliche Angaben über die Eigentumsverhältnisse, Dienstbarkeiten und Hypotheken aller im Bezirk liegenden Parzellen und anderes Wissenswertees über die Grundstücke. Die Schuldbriefe und Obligationen mit Grundpfandverschreibungen werden von den Grundbuchbeamten geschrieben. Auf der Bezirksschreiberei, die eben auch Notariat ist, entstehen sodann die Kauf- und Tauschverträge. Alle Veränderungen, die ein Grundstück betreffen, müssen im Grundbuch eingetragen werden. Wenn ein Beamter dabei einen Fehler macht, darf er diesen nicht ausradieren, sondern muss ihn mit einem roten Tintenstrich annullieren und die Korrektur in einem Berichtigungsbuch erwähnen.

Die meisten machen Schulden aus Leichtsinn

Im Einvernahmezimmer des Betreibungs- und Konkursamtes sehe ich an einem Kleiderhaken ein Kartonschild hängen mit der Aufschrift: „Sitzung – bitte nicht stören!“ Ein Beamter erklärt, dass das Schild einst die Türe eines Sitzungszimmers einer Maschinenfabrik zierte. Bei der Nachlassliquidation der Fabrik hängte er den Karton weg und stellte ihn in den Dienst des Staates. Trotz der Bevölkerungszunahme gingen in den letzten Jahren die Betreibungen zurück. Die meisten Leute verdienen heute genügend Geld. Es gibt aber auch solche, die betrügen sich selbst. Sie nehmen bei einer Kreditbank ein Darlehen auf, um einer Pfändung zu entgehen. Damit verschulden sie sich aber noch mehr. Und früher oder später ereilt sie das Schicksal der Betreibung doch. „Die meisten machen Schulden aus Leichtsinn“, stellt der mich informierende Beamte fest. In erster Linie führen schuldiggebliebene Steuern und Abgaben an die AHV und SUVA zu Betreibungen. An zweiter Stelle folgen unbezahlte Versicherungsprämien, an dritter die Schulden, die aus den Abzahlungsgeschäften entstehen.

Mit dem Beil bedroht

Manchmal ist der Beruf eines Pfändungsbeamten lebensgefährlich. Der Pfändungsbeamte der Bezirksschreiberei Liestal erzählt:

Ich musste einen Lastwagen eines Zirkus' beschlagnahmen. Als ich im Wohnwagen mit dem Besitzer des Zirkus' verhandelte, erschien plötzlich ein Familienangehöriger und bedrohte mich mit einem Beil. Ich machte mich schleunigst davon und führte meinen Auftrag später unter Polizeischutz aus.“ Nur in solchen Fällen nimmt er die Polizei in Anspruch. In der Regel reagieren die Menschen nämlich freundlicher, wenn der Betreibungsbeamte allein erscheint.

Wie der billige Jakob

Die gepfändeten Gegenstände wie zum Beispiel Kerzenständer, Silberbesteck, Vogelkäfige, Teppiche, Fernsehapparate, Bettvorlagen und Fotoapparate werden in der Bezirksschreiberei aufbewahrt. Wenn genug Ware beisammen ist, wird eine Gant veranstaltet. Eine solche wird in Liestal zwei- bis dreimal jährlich durchgeführt. Der Betreibungsbeamte tritt dann als Gantmeister auf. „Dabei komme ich mir manchmal wie der billige Jakob vor“, gesteht er mir. Sein Vorgehen? Zuerst ruft er die billige Ware aus. Allmählich verlieren die Leute die Hemmungen. Wenn das Gantfieber steigt, beginnt er die wertvolleren Gegenstände anzubieten. Ein Gantmeister muss nicht nur Warenkenntnisse haben, sondern auch über Verkaufspsychologie und ein wenig Humor verfügen.

Konkurrent Privatwirtschaft

Wie heutzutage fast überall, herrscht auch in den Bezirksschreibereien Personalmangel. Es werde daher versucht, eigene junge Leute nachzuziehen, höre ich. Doch wenn sich diese dann ein vielseitiges Wissen angeeignet hätten, würden sie oft wegen ein wenig mehr Lohn in die Privatwirtschaft übertreten, und die älteren Beamten hätten das Nachsehen, weil sie nun wieder einen Neuling in die schwierige Materie einführen müssten...